ANALYSE. Das Wahlergebnis in Oberösterreich ist alles andere als berauschend für die ÖVP. Von Graz gar nicht zu reden. Und daneben zeigt der Kanzler auch noch Nerven.
Das Ergebnis der oberösterreichischen Landtagswahl kann man natürlich so zusammenfassen, dass die ÖVP klare Nummer eins geworden ist, die Freiheitlichen ein Debakel erlitten haben und sich die Sozialdemokraten einigermaßen behaupten konnten. Das ist jedoch eine verkürzte, um nicht zu sagen absurde Darstellung.
Eher am Punkte ist diese Erzählung: Nachdem die ÖVP vor sechs Jahren eingebrochen war und das schlechtestes Wahlergebnis ihrer Geschichte erreicht hatte, musste sie sich nun mit einem kaum höheren Stimmenanteil bzw. dem zweitschlechtesten Ergebnis begnügen. Die Freiheitlichen sind zwar eingebrochen, ihr Stimmenanteil 2015 war im Lichte der Flüchtlingskrise jedoch außerordentlich und ihr nunmehriges Niveau entspricht noch immer einem ungewöhnlich hohen, wenn man etwas länger zurückblickt (siehe Grafik).
Die Sozialdemokraten konnten de facto nicht zulegen. Womit wir zum Punkt kommen: Vor sechs Jahren haben Schwarze und Rote in Oberösterreich zehntausende Wähler verloren. Zurückgeholt haben sie unterm Strich keine. Schlimmer für sie: Bei allen Verlusten können sich Freiheitliche nun auch noch damit trösten, dass die Impfgegnerliste MFG starken Zulauf hatte. Das ist eine „Single Issue“-Partei. Ob sie nach der Pandemie auch noch ein Angebot an sehr viele Menschen machen kann, ist fraglich.
Doch gehen wir weiter. In Graz wurde auch gewählt. „Siegfried Nagl (ÖVP) hat die Stadt bisher schon großartig geführt“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor zwei Wochen: „Ich freue mich, wenn er am Wahlsonntag auch entsprechend unterstützt wird, sodass er seine Arbeit für Graz fortsetzen kann.“ Kurz, der sonst ein gutes Gespür für Stimmungen hat, hat hier kein solches bewiesen: Nagls ÖVP verlor ein Drittel ihres Stimmenanteils und musste sich von der KPÖ überholen lassen. Der Bürgermeister teilte umgehend seinen Rücktritt mit.
Auch hier gibt es einen zweiten Erzählstrang, der die SPÖ betrifft: In der zweitgrößten Stadt Österreichs blieb sie neben den Kommunisten mit einer sozialpolitischen Agenda bei gut zehn Prozent. Das ist ein zweifache Watsche für Sozialdemokraten: Wenn sie irgendwo stark sein können, dann in urbanen Gegenden; und dass sie Soziales als ihr Thema betrachten, bringen sie damit zum Ausdruck, dass sie es in ihrem Namen tragen.
Hier stimmt etwas nicht: Dass die SPÖ keinen Lauf hat, überrascht weniger. Aber die ÖVP: Bei allen Verweisen auf spezifische Umstände vor Ort ist es bemerkenswert, dass sie am 26. September 2021 keine Wahlerfolge feiern konnte, um es vorsichtig zu formulieren. Es zeigt, dass die Strahlkraft von Sebastian Kurz Grenzen hat. Er kann nicht der gesamten Partei zu einem Höhenflug verhelfen oder Unzulänglichkeiten, die es ganz besonders in Graz gegeben haben muss, wettmachen.
Gut, alles andere wäre aus schwarz-türkiser Sicht vielleicht auch zu viel verlangt. Schwerer wiegt eher der Umstand, dass Sebastian Kurz die Bundes-ÖVP zwar noch immer klar auf Platz eins führen könnte und auch eine Kanzlerdirektwahl eindeutig für sich entscheiden würde, dass das Eis andererseits aber gerade sehr dünn geworden wird. „Heute“-Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der ÖsterreicherInnen nicht zufrieden mit seiner Arbeit; nur gut ein Viertel ist es. Damit kann er auf Dauer nicht leben.
Seine „Message Control“-Abteilung wiederum hat nicht mehr alles unter Kontrolle. Und zwar gerade auch Geschichten in eigener Sache nicht: Vergangene Woche rapportierte die „Krone“, dass er froh sei, Anfang September in der Causa „Mögliche Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss“ befragt worden zu sein; gewissermaßen, um mit „falschen Behauptungen“ der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aufzuräumen. Wenig später folgte das Zitat, er sei „kein Vollidiot“, der in Kenntnis vorliegender Chats wissentlich die Unwahrheit sagt.
Das hat sich ziemlich souverän angehört. Dann jedoch wurde mehr bekannt, berichtete der „Standard“ ausführlicher aus dem Protokoll der Einvernahme: Es lässt auf einen Kanzler schließen, der Nerven zeigt sowie persönlich-untergriffig und emotional agiert.
Kurz soll etwa dem Vertreter der WKStA unterstellt haben, in einem Text gewissermaßen nebensächliche und nicht entscheidende Passagen hervorgehoben zu haben, um die Sache in eine gewünschte Richtung zu drehen. „Die Markierungen kamen von mir, um den Vorwurf aus meiner Sicht herauszuarbeiten“, erwiderte der Richter laut „Standard“ jedoch. Woraufhin Kurz kleinlaut geworden sei: „Ich hab mich schon wieder eingekriegt.“ Schließlich habe der Richter den Regierungschef gemaßregelt, „bitte mit dem Sprachgebrauch sich ein bisschen einzuschränken“. Kurz reuig: „Tut mir leid, wird gemacht.“
Das kann in der Sache schwer überschätzt werden: Nicht nur wegen der Blöße, die sich der Kanzler hier gibt. Vor allem auch scheint die Strategie, sich nicht durch einen Vertreter der WKStA, sondern einen Richter einvernehmen zu lassen, nach hinten loszugehen.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >