Armutszeugnisse

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ANALYSE. Die Europapolitik, die Stocker und Plakolm als zuständige Regierungsmitglieder betreiben, orientiert sich eher an der FPÖ als an ihrem Anspruch, das „Richtige“ zu tun.

Man muss es immer wieder anschauen: Das Video, das bundeskanzleramt.gv.at auf Instagram veröffentlicht hat. Darin erfahre man, was Europa für die neue Europaministerin Claudia Plakolm (ÖVP) bedeute, heißt es. Ergebnis: Die 30-Jährige erklärt mitten in einer Zeitenwende, dass ihre Vorstellung ein Europa sei, das nicht reguliere, sondern regle. Und auf Englisch etwa spricht sie in weiterer Folge von einem Europa, das sich auf die großen Herausforderungen wie die Sicherung der Grenzen konzentriere und nicht auf Kleinigkeiten wie Flaschenverschlüsse. Abschließend stellte die Oberösterreicherin fest: „Des ois ist mei Europa.“

Gute Nacht. Zunehmend kommt der Verdacht auf, dass sich ihr Chef, Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), nicht unglücklich ausdrückte, als er vor wenigen Tagen auf Ö3 die Frage mit „Wahrscheinlich“ beantwortete, ob er mit Herbert Kickl (FPÖ) eine Regierung gebildete hätte, wenn das Innenministerium an die Volkspartei gegangen wäre. Was insofern irritierend war, als Stocker von Kickl ja vor allem auch verlangt hatte, vom rechten Rand zur Mitte zu rücken und etwa ein klares Bekenntnis zu Europa abzugeben, was dieser beides nicht getan hat. Und offenbar also kein Problem gewesen wäre, wenn er der ÖVP nur das Innenressort gelassen hätte.

Die Europaministerin betreibt billige, rechtspopulistische Europapolitik. Europa ist für sie zunächst einmal Regulierung und Flaschenverschlüsse. Wie für Kickl. Das anzusprechen ist ihr am wichtigsten. Womit man sich über nichts mehr wundern darf: Es kommt nicht irgendwoher, dass Österreich zu den Mitgliedsländern mit dem niedrigsten Zuspruch für die EU bzw. der größten Ablehnung der EU ist. Plakolm, eine Vertreterin der selbsternannten Europapartei ÖVP, trägt dazu bei.

Als „Sicherheitsrisiko“ haben Stocker und Co. Kickl bezeichnet. Stimmt: Kickl würde offen an der Seite von Viktor Orban agieren, wie es Wladimir Putin und Donald Trump gefällt. Gerade auch als Kanzler und auf EU-Gipfeln würde er das machen.

Stocker macht das nicht. Er lässt aber zu, dass seine Europaministerin, die ihm noch dazu im Kanzleramt zugeordnet ist, tut, als wäre noch immer, weiter oder schon wieder Wahlkampf. Dass sie sich an antieuropäischer Stimmungsmache beteiligt. Er verlangt nicht, dass sie gerade jetzt für europäische Integration wirbt.

Er stellt sich in Brüssel nicht gegen sicherheits- und verteidigungspolitische Beschlüsse. Er tut aber auch das nicht, was er zum Titel des Regierungsprogramms machte: „Das Richtige.“ Auch wenn das eine unglückliche Formulierung ist, die wie Alternativlosigkeit oder Wahrheit klingt: Im Regierungsprogramm ist ein Bekenntnis zu einer österreichischen Beteiligung an einer Verteidigungsunion enthalten. Stocker kann aber noch nicht einmal sagen, wie man der bereits bestehenden Beistandspflicht im Fall eines Angriffs auf ein Mitgliedsland nachkommen würde. Das müsste man klären und den Leuten erklären.

Davon ist Stocker, geschweige denn Plakolm, jedoch weit entfernt. In einer Aussendung des Kanzleramts zum jüngsten EU-Gipfel wird ihm folgende Formulierung zugeschrieben: „Es gebe Beistandsverpflichtungen, bei denen man sehen werde, wie diese ausgestaltet werden. Das Angebot sei noch nicht sehr konkret und man werde sehen, was die Zukunft zu diesem Thema bringe.“

Schau ma mal: Während man sich in Paris, Warschau, Berlin, Rom, aber auch London längst aufgemacht hat, nahe Zukunft zu gestalten, so gut es geht, tut man in Österreich so, als könne man die Dinge auf sich zukommen lassen. Trittbrettfahrer halt.

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