ANALYSE. Die FPÖ radikalisiert sich, aber die Kanzlerpartei traut sich nicht, „Stopp“ zu sagen. Ergebnis: Rechtsextremismus wird normal.
„Meine Damen und Herren, die dunkelste Seite unserer Geschichte, der verheerende Nationalsozialismus mit seiner mörderischen Ideologie, darf sich niemals wiederholen. Nie wieder! Und deshalb müssen wir alle sehr genau hinsehen und alles tun, um antidemokratische, die Würde des Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen“, sagte Alexander Van der Bellen bei der Angelobung zum Bundespräsidenten im Jänner dieses Jahres. Es handelte um einen dieser Pflöcke, die er eingeschlagen hat, um zu markieren, was geht und was nicht geht. Nicht geht im Übrigen, auch nur zu spielen mit einem Öxit oder die liberale Demokratie anzugreifen.
Von FPÖ-Chef Herbert Kickl wird gerne erzählt, Van der Bellen lehne ihn persönlich ab und wolle ihn daher als Kanzler verhindern. Das wird dem Staatsoberhaupt jedoch nicht gerecht: Er hat hier deutlich gemacht, dass es ihm um Prinzipien geht. Das ist etwas anderes.
Wenn es in der österreichischen Politik jemandem bloß darum geht, aus durchschaubaren Gründen lediglich gegen Kickl persönlich vorzugehen, dann ist es die ÖVP. Mehr denn je verrät sie das durch ihre Reaktionen auf das rechtsextreme, quasi Identitären-Video der freiheitlichen Jugend, das Kickl „großartig“ findet, wie er auf oe24.TV betonte. Zur Erinnerung: Ein Bevölkerungsaustausch wird darin gefordert, Sympathien für eine Remigration werden bekundet; und es wird der Führerbalkon der Wiener Hofburg ins Bild gerückt, als solle von dort etwas Erlösendes kommen.
ÖVP-Klubobmann Christian Stocker hatte in einer Aussendung nicht mehr dazu zu sagen, als dass das Video die ÖVP-Ablehnung von Kickl als Mitglied der Bundesregierung bestätige. Und Innenminister Gerhard Karner meinte nun, es sei „ein abscheuliches Video“.
Das klingt nach Verurteilung, heißt in Wirklichkeit aber gar nichts. Es erinnert an die Aussage von Ex-Kanzler und -ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der die Liederbuchaffäre mit Udo Landbauer und dergleichen einst als „widerlich“ bezeichnet hat. Das klingt, als würde es sich bloß um eine ungustiöse Sache handeln. Nichts wirklich Schlimmes jedenfalls.
Schon Kurz hatte sich nicht getraut, Klartext zu reden. Genauer: Erst nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos hat er das getan und die Koalition aufgekündigt. Aber nur, weil er sich ausrechnete, unter diesen Umständen bei der nachfolgenden Nationalratswahl abzuräumen. Wie es dann auch kam. Später hat er bedauert, die Koalition nicht fortgesetzt zu haben.
Die ÖVP nimmt – frei nach der eingangs erwähnten Rede von Van der Bellen – hin, dass die FPÖ „antidemokratische, die Würde des Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen pflegt“ wie noch nie, sagt lediglich, dass Kickl nicht in die Regierung dürfe. Die inhaltlichen Tendenzen duldet sie damit. Beziehungsweise: Sie drückt beide Augen zu.
Im Unterschied zum Bundespräsidenten geht es ihr nicht um Prinzipien: Sie hat vielmehr die Zeiten vor und nach der kommenden Nationalratswahl im Auge. Es geht ihr bloß darum, Kickl-Anhänger mit der Botschaft zu umwerben, dass sie lieber türkis wählen sollten, weil Kickl angeblich nie in die Regierung kommen werde. Außerdem: Im Unterschied zur Andreas-Babler-SPÖ will sie sich auf Bundesebene die Option eine Regierungszusammenarbeit offenhalten. Sie weiß, dass ihr so das Oppositionsschicksal erspart bleiben dürfte.
Der Preis dafür ist eine Koordinatenverschiebung. Und zwar nicht mehr nur nach rechts, sondern nach extrem rechts: Es wird nicht mehr geächtet, sondern normal, was zum Beispiel die FPÖ-Jugend hier zeigt.