KOLUMNE VON LIBERO. Die SPÖ muss die Gunst der Stunde nach der Präsidentschaftswahl nutzen: Rot-Grün ist möglich. Die ÖVP wiederum kann in der jetzigen Koalition sowieso nur noch verlieren.
Die Umfragedaten sind für SPÖ und ÖVP alles andere denn berauschend – und das nicht erst seit gestern, sondern beständig. Rot und Schwarz mit deutlichem Abstand hinter Blau, lautet der stabile innenpolitische Befund. Obendrein seien, heißt es, bei SPÖ und ÖVP die Kassen leerer als leer. Also sollten beide heilfroh sein, dass nicht schon morgen, sondern regulär erst 2018 gewählt wird. Bis dahin lebt wenigstens die Hoffnung, dass es irgendwann wieder aufwärts gehen wird.
Dennoch agieren die Koalitionäre derzeit so, als würden sie es auf Krach und Bruch anlegen. Sie werfen Themen – zum Teil alte Hüte – in den Ring, die beim Partner auf Ablehnung stoßen müssen. Auch bei der Neubestellung des Rechnungshofes war keinerlei Gemeinsamkeit erkennbar. Und der Außenminister gibt sowieso den selbstverliebten Solotänzer, einzig der eigenen Profilierung verpflichtet.
Momentan schaut es somit eher nach Neuwahl denn nach Neustart aus. Das ist scheinbar wider alle Vernunft und doch gibt es einen guten Grund, eher früher als später zu wählen. Das Feld ist nämlich durch die Bundespräsidentenwahl bestens aufbereitet. Zwar standen da zwei Persönlichkeiten zur Wahl, mehr als diese wurden jedoch parteipolitische Ausrichtungen, Haltungen, Ideologien gewählt bzw. abgewählt.
Das, was vielfach als Spaltung des Landes beschrieben wurde, kann ebenso gut und weniger besorgt als Klärung interpretiert werden. Das Fifty-fifty-Ergebnis markiert zwei exakt gleich große Lager: auf der einen Seite alle, die sich als links, liberal, fortschrittlich, weltoffen definieren, auf der anderen der konservativ-rechte Flügel; die breite Mitte teilte sich ziemlich gleich auf.
Diese Balance überrascht insofern, als eine mehr oder weniger klare Mehrheit rechts der Mitte in Österreich Tradition hat. Die gab es jedenfalls bei der Präsidentschaftswahl nicht, wenngleich klar ist, dass viele für Van der Bellen gestimmt haben, um Hofer zu verhindern. Egal, Mehrheit ist Mehrheit!
Wer auf diesem Acker ein weiteres Mal ernten möchte, darf nicht allzu lange zuwarten.
Wer auf diesem Acker ein weiteres Mal ernten möchte, darf nicht allzu lange zuwarten. Wobei die Verlockung für die SPÖ eindeutig größer ist. So gut war die Aussicht auf eine rot-grüne Mehrheit noch nie. Wenigstens theoretisch. Es muss nur gelingen, ein ähnliches Szenario zu errichten wie zuletzt. Dazu können die Pflöcke dienen, die soeben vom neuen Parteivorsitzenden und Kanzler Christian Kern eingeschlagen werden.
Aber auch die ÖVP kann durchaus verleitet sein, aus der bestehenden Koalition auszubrechen: zum einen, um Kern nicht zu viel Zeit zur Profilierung und zum Abstecken des Terrains zu lassen; zum anderen, um wieder einmal mit neuem Obmann neues Glück zu suchen. Außerdem hat die ÖVP nicht viel zu verlieren. Wie es aussieht, wird sie auch in jeder künftigen Koalition Junior sein. Da schon lieber mit den regierungsunerfahrenen Freiheitlichen, die gewiss leichter zu gängeln wären als die mit neuem Selbstbewusstsein ausgestatteten Sozialdemokraten.