ANALYSE. Einmal mehr hat die Partei das Glück, unterschätzt zu werden: Das sind beste Voraussetzungen für ein überraschendes Ergebnis.
Besser könnte der Wahlkampf für die Freiheitlichen nicht laufen. Wenn man die Umstände bedenkt, unter denen Norbert Hofer und Herbert Kickl vor dem Sommer gestartet sind, dann dürfen sie sich auf den 29. September jedenfalls freuen: Eine Überraschung ist möglich. Grund: Sie werden unterschätzt. Und das kann ihnen nur recht sein.
Das Schlimmste, was der FPÖ bei einer Wahl passieren kann, ist wohl noch immer, dass sie auf Platz eins kommen könnte. Dann werden die Worte ihrer Vertreter ernst genommen und dann lassen sich vor allem für ihre Mitbewerber in der Mitte und mehr noch links davon Wähler mobilisieren.
Wenn die Partei von Platz eins aber unerreichbar weit weg ist, ist alles anders. Wie 2017: Nachdem Sebastian Kurz die ÖVP übernommen hatte, stürzte sie in den Umfragen ab. Allgemeine Wahrnehmung war in weiterer Folge, dass man sie abschreiben kann. Viel mehr als den Hinweis, von Kurz kopiert zu werden, fiel ihrem damaligen Spitzenkandidaten Heinz-Christian Strache in den TV-Duellen ja auch nicht ein. Umso größer die Überraschung am Wahlabend: 26 Prozent hatte ihr wohl kaum jemand zugetraut; damit schloss sie de facto zur langjährigen Kanzlerpartei SPÖ auf.
Und auch wenn es heißen mag, dass sich Geschichte nicht wiederhole, muss man doch damit rechnen, dass es in gewisser Weise der Fall sein könnte. Fakt ist: Seit der Ibiza-Affäre ist von einer FPÖ-Krise die Rede. Verluste von fünf, sechs Prozentpunkten gelten als Gewissheit. Und daher wird die Partei nicht mehr so ernst genommen, wie es sich für eine Partei gehören würde, die möglicherweise schon bald wieder in Regierungsverantwortung stehen wird.
Die FPÖ könnte wieder zu einem bemerkenswerten Wahlergebnis kommen. Ihr Wahlkampf gewinnt keinen Schönheitspreis, die Botschaften sind jedoch extrem treffsicher. Wer Linke verachtet, erfährt, dass es nur mit ihrer Hilfe gelingen kann, Sebastian Kurz auf Kurs zu halten. Wer der Ruhe nach der Flüchtlingskrise misstraut, hört, dass es schon bald wieder zu einem „Grenzsturm“ (Hofer) kommen könnte. Das ist Klartext, wie er einmalig ist und daher wirkungsvoll in dem Sinne sein kann, dass sehr viele Menschen angesprochen werden.
Glück der FPÖ ist im Übrigen, dass Österreich abgestumpft ist. In ihren Reihen löst Kickl tosenden Applaus aus, wenn er sagt, dass man gegen ein „Tripple A“ vorgehen müsse: „Gegen aggressive afghanische Asylwerber.“ Oder wenn er laut „Kurier“ in diesem Zusammenhang auch von „Facharbeitern für das Hantieren unter der Gürtellinie“ spricht. Das motiviert allenfalls eine NGO zu einer Anzeige wegen Verhetzung. Darüber hinaus ist derlei aber ganz offensichtlich noch im erlaubten Rahmen.
Oder Ursula Stenzels Auftritt bei einem Aufmarsch mit Identitären: Eine Woche später ist das vergessen, Stenzel ist weiterhin Parteimitglied und nicht amtsführende Stadträtin in Wien. Ihre Erklärung, wonach sie nicht gewusst haben will, mit wem sie es zu tun hatte, genügte ebenso wie Hofers Hinweis, dass die 73-Jährige nicht jeden Tag im Internet recherchiere, um zu erfahren, wer hinter einem Verein stehe.
Glück der FPÖ ist außerdem, dass sich größere Mitbewerber zurückhalten: Klar, die SPÖ sagt, sie schließe eine rot-blaue Koalition aus. Und die ÖVP will Identitäre verbieten. Freiheitliche konsequent zur Verantwortung ziehen tun sie jedoch nicht. Siehe Stenzel. Die Zurückhaltung ist nachvollziehbar: Wer keine Wähler an die Freiheitlichen verlieren will, sondern Wähler von diesen gewinnen möchte, muss vorsichtig umgehen mit der Partei. Und überhaupt: Wer wie Kurz eine „ordentliche Mitte-Rechts“-Politik betreiben möchte, muss sich die Freiheitlichen letztlich halt doch irgendwie warm halten; mit allen anderen ist das jedenfalls schwer bis unmöglich.