ANALYSE. Parlamentarismus ist nur noch eingeschränkt möglich, die Medienbranche fährt auf Kurzarbeit zurück. Und das ausgerechnet in Zeiten, in denen eine ausgesprochene Notstandspolitik nötig ist.
Krieg und Demokratie widersprechen einander: Demokratie heißt zweifeln, fragen, streiten und abstimmen. Im Krieg sind militärische Tugenden gefragt. Nicht denken, sondern gehorchen, beispielsweise. Es gibt unmissverständliche Befehle und keine Debatten. Punkt. Und auch wenn man jetzt zögern sollte, die Coronakrise mit einem Krieg zu vergleichen, so gibt es dabei halte doch Aspekte, die ähnlich sind. Erstens: Die Regierung hat einen Plan und der muss schnell umgesetzt werden. Das Parlament muss eine Wochenendschicht einlegen und der Bundespräsident gleich unterschreiben. Über die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen kann und muss natürlich gesprochen werden; dafür, sie zu blockieren, bleibt jedoch keine Zeit. Zweitens: Wir müssen alle gehorchen und daheim bleiben. Immerhin sind die allermeisten überzeugt, dass das klug ist und dass Zuwiderhandlungen ordentlich abgestraft gehören.
Doch kommen wir noch einmal zurück zum Parlament: Auch wenn die „Realverfassung“ seit Jahr und Tag darüber hinwegtäuscht, wäre das der zentrale Ort, an dem Politik gemacht werden sollte. Abgeordnete (= Volksvertreter) würden sich demnach in Ausschüssen und in weiterer Folge auch im Plenum (= Öffentlichkeit) mit bestimmten Schritten beschäftigen. In der Krise kann das jedoch weniger denn je praktiziert werden: Wie erwähnt müssen die Vorhaben besser heute als morgen durchgewunken werden. Wer soll im Übrigen schon wissen, was vernünftig ist? Dazu wären Experten nötig. Und überhaupt: Bei höchster Ansteckungsgefahr ist es nicht gerade klug, wenn sich Abgeordnete mehr als unbedingt nötig im Parlament aufhalten.
Im Grunde genommen läuft das auf eine Ermächtigung für die Regierung hinaus: Sie hat de facto freie Hand, aus dem Hohen Haus gibt es nur eilige Zustimmung.
Und wer passt auf? Natürlich gibt es da noch den Rechtsstaat mit seinen Instanzen. Bis die durch sind, ist jedoch viel geschehen. Und auch darüber steht quasi eine Allmacht der Überzeugungen: Wenn 95 Prozent der Österreicher mit wirkungsvollen Argumenten dafür gewonnen werden, dass – um ein Beispiel zu konstruieren – die Polizei direkten Zugriff auf Mobilfunkdaten bekommen soll, um Vertreter von Risikogruppen ebenso orten zu können wie Infizierte, dann ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass sich so etwas immer durchsetzen könnte. Weil Notstand.
Auf die vierte Gewalt im Staat kann man bei alledem nicht mehr selbstverständlich setzen zur bestmöglichen Aufrechterhaltung demokratischer Verhältnisse: Das Coronavirus hat auch die Medien voll getroffen. Klar, guter Journalismus ist gefragt wie nie. Aber: Das Anzeigengeschäft ist weggebrochen. Und damit sind Medien existenziell bedroht, weil sie halt auch Unternehmen sind, die nur bestehen können, wenn sie genügend Geld verdienen.
„Der Standard“ weist auf seiner Website darauf hin: „Wir kämpfen derzeit mit nachhaltigen Anzeigen- und Werbeverlusten, die das ökonomische Fundamens unseres Mediums bilden“, ruft er zu Unterstützungen auf. Das ist sehr unmissverständlich. Viele Zeitungen schreiten zur Kurzarbeit, wie einem Standard-Bericht zu entnehmen ist. Das ist ein Alarmsignal: Journalismus kann nicht mehr Vollzeit betrieben werden. Und Vollzeitjournalismus ist kein Selbstzweck, um es der Vollständigkeit halber zu betonen: Ihn aufgeben zu müssen heißt, nicht mehr ganz darauf achten zu können, was die Politik tut (oder nicht tut).
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