ANALYSE. Nehammer und Mückstein machen es den Geburtshelfern der Impfpflicht zu einfach – sie gehören ebenfalls in die Pflicht genommen.
Bundeskanzler Karl Nehammer und Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) meinen es gut mit den Ländern. Der Finanzausgleich, der diesen automatisch einen fixen Tel der steigenden Steuereinnahmen beschert, ist gerade verlängert worden. Ihre Ertragsanteile gehen steil nach oben: Laut Stabilisätsbericht des Finanzministeriums könnten sie bis 2025 von 13,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr um fast die Hälfte auf 19,5 zunehmen. Genug? Offenbar nicht: Mittwochabend stellten Nehammer und Brunner Ländern und Gemeinden zur Bewältigung der Coronakrise knapp 1,9 Milliarden Euro bis 2025 in Aussicht. Natürlich, die Länder sind unter anderem für die Spitäler zuständig, die extrem belastet sind. Das geht ins Geld. Andererseits aber erfährt der Bund nicht einmal, wie viele Patientinnen und Patienten jeden Tag neu eingeliefert werden. Man könnte glauben, dass solche Informationen zum Mindesten gehören müssten, ehe zusätzliche Zahlungen getätigt werden. Zumal sie auch zur treffsicheren Pandemiebekämpfung relevant wären.
Andererseits: Bundespolitiker haben zu großen Respekt vor Landeshauptleuten. Sie trauen sich nicht, Klartext zu reden. Ein Gesundheitsminister wagt es nicht, ihnen im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung gewisse Dinge anzuschaffen. Also ist bisher in Tirol, Salzburg oder Oberösterreich bestimmt worden, wie lange sich gewisse Virusvarianten ausbreiten oder Spitäler ziemlich ungebremst füllen „dürfen“.
Ein Ergebnis davon ist bekannt: Im vergangenen Herbst war ein Kraftakt nötig, um auf einer Landeshauptleutekonferenz am Achensee zu einer Notbremsung in Form eines bundesweiten Lockdowns zu gelangen. Es handelte sich um die Nacht auf den 19. November, an deren Ende auch die Einführung der Impfpflicht mit Februar 2022 verkündet wurde. Der Gastgeber, Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), erklärte auf einer Pressekonferenz, das sei nötig, „um endlich ins normale Leben zurückzukehren“. Der damalige Übergangskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) war dabei, aber nur Statist.
Heute plagen sich Karl Nehammer, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und andere Bundespolitiker mit den Folgen bzw. mit der Umsetzung der Impfpflicht. Man hofft, dass es nie nötig wird, alle Ungeimpften zur Kasse zu bitten. Man weiß, dass das schwierig werden würde. Gleichzeitig bemüht man sich, spät, aber doch, nachzuholen, was bisher verabsäumt worden war – vertrauensbildende Maßnahmen („Ängste ernst nehmen“) sowie finanzielle Anreize (Lotterie) zu setzen. Präsentiert wurde das gerade von der Regierungsspitze, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner (Opposition!) konnte dafür gewonnen werden, sich daran zu beteiligen. Immerhin.
Aber wo sind die Landeshauptleute? Sie haben zuletzt wissen lassen, dass der Bund die Kosten übernehmen müsse. Der Steirer Hermann Schützenhöfer (ÖVP) meinte gar, die Impfpflicht komme eher zu spät. Was soll das heißen? Unter anderem natürlich dies: Bundespolitiker haben zu lange gezögert. Sie haben wieder einmal versagt. Insofern ist diese Aussage ziemlich unverschämt.
Genau genommen tragen selbstverständlich Türkise und Grüne auf Regierungsebene und im Parlament in Wien die Verantwortung. Formal sind zunächst allein sie relevant. Nicht die Landeshauptleute. Realpolitisch aber gehören diese mehr denn je zur Verantwortung gezogen. Nicht nur, weil sie die Impfpflicht mit auf Schiene gebracht haben: Sie sind den Leuten näher, genießen in der Regel beachtliches Vertrauen, wie fulminante Wahlergebnisse in Niederösterreich oder dem Burgenland dokumentieren. Ihr Wort hat Gewicht, kann etwas bewirken. Soll heißen: Es ist ihre Pflicht, sich zum Teil einer Kampagne zu machen, die die ganze Sache zu einem besseren Ende führt.
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