ANALYSE. Eine weitere Infektionswelle droht. Zögerliche Landeshauptleute, die Maßnahmen blockieren, kann sich Österreich weniger denn je leisten.
Mitte November zählte Günther Platter (ÖVP) zu den letzten Landeshauptleuten, die sich gegen einen bundesweiten Lockdown aussprachen. „Wenn das kommt, sind wir in Tirol politisch tot“, soll er gesagt haben. Zwei Amtskollegen dürften lange Zeit ähnliche Befürchtungen gehabt haben. In Salzburg unterstellte Wilfried Haslauer (ÖVP) Virologen, die Leute schlicht einsperren zu wollen. In Oberösterreich sah Thomas Stelzer (ÖVP) keine Notwendigkeit für Maßnahmen, habe man „Gott sei Dank“ doch viele Spitalsbetten. Das Ergebnis ist bekannt: Einer nach dem anderen musste nachgeben.
Genauer: Die drei genannten Landeshauptleute zählten zu den Kräften, die dazu beigetragen haben, dass Österreich einmal mehr zögerte, bis es zu spät war; bis die Gesundheitsversorgung überlastet war und ein flächendeckender Lockdown alternativlos erschien. Konsequenzen? Null.
Und Schlimmeres ist zu befürchten: Besonders Tirol ist abhängig vom Wintertourismus. Mit Blick darauf sorgte Platter dafür, dass in seinem Land – wie in Vorarlberg und im Burgenland – bereits am vergangenen Wochenende maximal mögliche Öffnungsschritte vorgenommen wurden. Das Weihnachtsgeschäft sollte damit gerettet werden.
Und dann? Jänner und Februar stehen in den Bergen für Hochwinter und -saison. Einerseits. Heuer wird voraussichtlich aber auch hier eine möglicherweise noch größere Infektionswelle unterwegs sein als alle bisherigen. Die gegenwärtige Atempause werde „relativ schnell wieder vorbei“ sein, so der Impfstoffexperte Florian Krammer in der ZIB2 vom 15. Dezember. Sprich: Politik wird handeln müssen. Und zwar zeitgerecht. Wenn sich die Zahlen alle paar Tage verdoppeln, rächt sich fast schon jede Stunde des Zuwartens – in der Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht so schlimm kommt wie befürchtet.
Günther Platter zählt hier zu den Unsicherheitsfaktoren: Wenn er schon im November Angst hatte, dass Schwarze wie er Beschränkungen politisch nicht überleben können, wird er das jetzt noch viel mehr tun: Hoteliers und Liftbetreiber werden ungleich schwerer zur Raison zu bringen sein. Und überhaupt: Dummerweise finden in Tirol mit Ausnahme von Innsbruck und drei kleineren Orten ausgerechnet am 27. Februar Gemeinderatswahlen statt. Da gilt es für Platters ÖVP, sich zu behaupten.
Immerhin weiß man diesmal, auf welche Eventualitäten man sich vorbereiten muss. Bei der ersten Welle war dies unmöglich und bei der vierten gehörte Österreich zu den ersten Staaten, die damit konfrontiert waren. Heute sind zunächst Großbritannien, Dänemark und Norwegen, also durchwegs Länder mit ausgezeichneten Daten (=Informationen) zum Geschehen, dran.
Entscheidend ist, dass sich gerade auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein eine Strategie zurechtlegen. Der Handlungsbedarf ist groß: Zuletzt hatten sie (bzw. auch schon Ex-Kanzler Alexander Schallenberg) mehr oder weniger unfreiwillig die Führung an die Landeshauptleute übertragen. Nehammer, der zudem von ihnen zum ÖVP-Chef bestellt worden ist, muss mit Mückstein das Heft zurückholen.
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