ANALYSE. Wo die Partei einst stark war, herrscht meist die Krise. Und wo es besser läuft, räumen andere viel stärker ab.
Angesichts von Umfragewerten in der Größenordnung von 20 Prozent muss die Bundes-ÖVP nervös werden. Der Handlungsbedarf ist groß. Doch ob es genügt, Parteichef Reinhold Mitterlehner durch Außenminister Sebastian Kurz zu ersetzen, ist fraglich. Die Probleme gehen schließlich sehr, sehr weit; sie sind, wenn man so will, „struktureller Natur“.
Wenn die SPÖ einst vor allem von Arbeitern in den Städten, die noch dazu antiklerikal gesinnt waren, getragen wurde, so war es bei der ÖVP das Gegenteil von alledem: Sie punktete bei Bauern auf dem Land, die sonntags in die Kirche gingen. Doch davon gibt es immer weniger; seit den 1950er Jahren hat sich die Zahl der Landwirte geviertelt und die Zahl der Katholiken ist ebenfalls zurückgegangen. Was soweit nichts Neues ist.
Unterbelichtet sind bisher jedoch die weiteren Entwicklungen in den ländlichen Gebieten worden: Die Abwanderung hat hier zum Teil eher zugenommen. Und das trifft die ÖVP besonders hat, holt sie bei Nationalratswahlen doch meist rund 60 Prozent ihrer Stimmen in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark – Ländern also, in denen außerhalb einiger Ballungsräume größere Weiten mit kleineren Siedlungen vorherrschen als dies etwa in Westösterreich der Fall ist.
Das ist, wie gesagt, schwarzes Land. Bei den letzten Nationalratswahlen schaffte die Volkspartei etwa sowohl im niederösterreichischen Bezirk Horn als auch im oberösterreichischen Bezirk Rohrbach an die 50 Prozent. Auch im steirischen Wallfahrtsort Mariazell konnte sie trotz massiver Verluste Platz eins immerhin noch halten. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Zahl der Einwohner seit 2000 überall hier zurückgegangen ist.
Die Leute wandern ab oder wählen blau.
Ähnliches könnte man auch für die Sozialdemokratie belegen. In der Mur-Mürz-Furche, die einst allein von der Schwerindustrie geprägt und rot war, hält es die Leute nicht mehr. Sie gehen oder wählen blau.
Die ÖVP hat im Unterschied zur SPÖ jedoch ein doppeltes Problem: Zum einen wird „Ihre“ Landbevölkerung ebenfalls zunehmend freiheitlich. Und zum anderen wächst in den boomenden Regionen, in die es die Abwanderer zieht, das Mitte-Links-Lager: Dort gibt es auch nicht zufällig schwarz-grüne Koalitionen. Dort brummt die Wirtschaft noch am ehesten; und dort sind die Menschen optimistischer (bzw. weniger anfällig für die rechtspopulistische FPÖ).
Im äußerten Westen kann die Volkspartei zumindest noch ein Stück weit daran teilhaben.
Im äußerten Westen kann die Volkspartei zumindest noch ein Stück weit daran teilhaben. Bundesweit wahlentscheidend ist jedoch die stark wachsende Millionenstadt Wien – und ausgerechnet hier ist die ÖVP im Laufe der Jahre in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, während sich Freiheitliche (wie Norbert Hofer) schwerer tun als sonstwo und rot-grün regiert.