ANALYSE. Sagen, was ist: Geheimnisvolle Geschäfte, die große Errungenschaften der Partei mit einem Schlag zunichte machen könnten. Auch wenn sie es nicht wahrhaben möchte.
Die Sicht ist noch getrübt, der Nebel beginnt sich jedoch zu lichten: Wien Energie, die 100-Prozent-Tochter der Bundeshauptstadt, wird nicht einfach nur zum Verhängnis, dass die Strom- und Gaspreise in den vergangenen Tagen explodiert sind. Es ist vielmehr so, dass risikobehaftete Geschäfte, die von Erwartungen ausgehen und somit immer auch etwas Spekulatives an sich haben, die Probleme verschärft haben dürften. Das kann für die österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verdammt teuer werden, im schlimmsten Fall kann es um bis zu zehn Milliarden Euro gehen. Kann, wie gesagt.
In jedem Fall teuer zu stehen kommt das die Sozialdemokratie: Wohl zum Selbstschutz wollte es die Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner im ORF-Sommergespräch am Montagabend nicht so sehen. Sie stellte Wien Energie eher als Opfer übler Märkte dar. Natürlich: Die (Energie-)Märkte entwickeln sich zurzeit übel für eine Masse. Warum aber muss sich das Unternehmen ebendort in der bisher bekannten Art und Weise betätigen? Um das Beste für die Kundinnen und Kunden herauszuholen? Das macht die Sache nicht vertretbarer: Es gibt immer ein Risiko, zu verlieren. Und das ist dann im vorliegenden Fall nicht das Geld eines multilateralen Konzerns, der einem unersättlichen Kapitalisten gehört. Es ist vielmehr so, dass das Gemeinwohl aufs Spiel gesetzt wird.
Es ist selbstverständlich, gibt aber kein Gesetz dafür, dass der Bund, also ganz Österreich, „Wien Energie“ – sozusagen „Koste es, was es wolle“ – ausreichend besichert. Damit wird der Konzern genauso gerettet wie die Stadt Wien.
Der SPÖ wird das noch sehr lange zu schaffen machen. Zumal sie bisher nicht öffentlich eingestehen will, worum es geht: Unter ihrer Verantwortung hat sie sehr viel riskieren, ja spekulieren lassen. Das ist für sich genommen schon für viele, die mit ihr sympathisieren, etwas Unverzeihliches.
Zweitens: Es handelt sich mittlerweile um ein Problem von ganz Österreich. Rendi-Wagner nennt sich zwar Kanzlerkandidatin, will das aber nicht eingestehen. Das passt nicht zusammen.
Drittens: Mit Wien hat sich das Zentrum der hiesigen Sozialdemokratie in eine schlimme Lage hineinmanövriert: Geht man so mit dem Erbe, den Errungenschaften des „roten Wien“ um? Okay, vielleicht wird das jetzt zu moralisierend. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat in einer späten, ersten Stellungnahme erklärt, dass die momentan laufende „Überbrückung von Liquiditätsengpässen nichts Unübliches“ sei. Blöd ist nur, wenn die Brücke immer weiter verlängert und ausgeweitet werden muss. Und wenn es dann irgendwann kracht. Anders ausgedrückt: Man kann auf ein gutes Ende hoffen, sollte aber auch mit dem Schlimmsten rechnen. Letzteres verdeutlicht, worum es hier geht.
Viertens: Ludwig betont außerdem, es gebe nichts zu verbergen. Das leitet über zu einer großen Schwäche der Sozialdemokratie: Was Transparenz und Offenheit angeht, ist sie noch immer nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Sie praktiziert vielmehr etwas, was auf diesem Blog unlängst Türkisen zugeschrieben wurde: einen tiefen Staat, der im Verborgenen agiert. Nicht nur, dass Wien Energie ein ausgelagertes Unternehmen ist, das damit auch Teilen der parlamentarischen Kontrolle (z.B. Interpellationsrecht) entzogen ist. Von der notwendigen Rettung des Unternehmens haben die Bürgerinnen und Bürger überhaupt erst durch die Bundesregierung erfahren; Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bestätigte am Sonntagabend erste Berichte dazu. Und Ludwig hat im Rahmen eines Notrechts im Juli und am Montag dieser Woche jeweils 700 Millionen Euro für die „Wien Energie“ freigegeben. Eine öffentliche Information dazu gab es nicht, der zuständige Gemeinderatsausschuss wird erst nach der Sommerpause, im September, damit befasst.
Das ist eine demokratische Zumutung, nebenbei aber auch eine Erklärung dafür, warum Österreich unlängst nur als Wahldemokratie eingestuft worden ist, in der man (zwar) wählen darf, aber Informationen vorenthalten werden, die für eine Wahlentscheidung relevant sein könnten.