ANALYSE. In Oberösterreich gilt nach wie vor der Proporz, ab einer gewissen Fraktionsstärke darf mitregiert werden. Die SPÖ klammert sich an das bisschen Macht und zerbröselt dabei.
Am oberösterreichischen Wahlabend in knapp zwei Wochen wird die SPÖ-Bundespartei, vom Vorsitzenden und Kanzler abwärts, das Ergebnis bedauern und im Übrigen als regionales Ereignis abzutun versuchen. Den Sozialdemokraten drohen erneut massive Verluste samt Absturz auf Platz drei – und das im Industriebundesland Nummer 1. Das wäre die bisher symbolträchtigste Wahlniederlage in der Faymann-Ära mit weit reichenden Konsequenzen.
Oberösterreich ist SPÖ-Kernland. Bei Nationalratswahlen liegt die Partei stets – mit einer Ausnahme 2002 – voran, um bei Landtagswahlen ebenso regelmäßig zu verlieren. Zuletzt, 2009, büßte sie ein Fünftel der im Jahr davor noch eingefahrenen Stimmen ein, in den 1990er-Jahren sogar bis zu einem Drittel. Die verlorenen Wählerinnen und Wähler wieder zurückzugewinnen wird angesichts steigender Wechselbereitschaft zunehmend schwieriger. Darin liegt die Dramatik des sich abzeichnenden Linzer Desasters für die Bundespartei.
Nur einmal in jüngerer Vergangenheit, bei der LT-Wahl 2003, konnte die SPÖ ihr Potenzial weitestgehend ausschöpfen. Da verlor sie nur rund 16.000 der bei der NR-Wahl im Jahr davor eingefahrenen 316.000 Stimmen und kam der ÖVP relativ nahe. Damals fuhr Parteivorsitzender Erich Haider einen scharfen Konfrontationskurs gegen die ÖVP, was allerdings seine Partei auf Dauer nicht durchstand. Lieber machen die roten Statutarstädte – und (einstmaligen) roten Hochburgen – Linz, Wels, Steyr sowie die Gewerkschaft aus Eigeninteresse gemeinsame Sache mit der im Land dominierenden ÖVP, als es sich mit ihr nachhaltig zu verscherzen. Eigeninteressen kommen traditionell vor dem Wohl der Landespartei, die seit jeher zentrifugal ausgerichtet ist. Erich Haider musste gehen, die unter ihm eingefahrenen 38,3 Prozent sind für die SPÖ am 27. September pure Utopie.
Der Ursprung der Krise der oberösterreichischen Sozialdemokratie liegt weit zurück, ein markantes Datum ist 1967. Damals konnte sie aus ihrem historischen knappen Sieg bei der Landtagswahl keinen Führungsanspruch ableiten; die ÖVP schmiedete flugs einen Pakt mit der FPÖ und behielt fortan die mehr oder weniger alleinige Macht. Dieses Trauma der nicht genutzten Chance wirkt bis heute nach, die Roten fanden in der Folge nie mehr zu einer klaren Linie. Jetzt, am vorläufigen Tiefpunkt, präsentiert sich Partei inhaltlich, personell, organisatorisch ausgedünnt, ohne Punch und Mobilisierungskraft.
Reinhold Entholzer, aktueller Vorsitzender als kleinster gemeinsamer Nenner in einer uneinigen Partei, versucht es wieder mit Anbiederung. Er dient sich der ÖVP als Koalitionspartner an und meidet dabei tunlichst Konflikte, was das Parteiprofil erst recht nicht schärft. Entsprechend nichtssagend und blutleer ist der Auftritt im Wahlkampf.
Dass die ÖVP im ebensogut roten wie schwarzen Oberösterreich seit 1945 ununterbrochen den Landeshauptmann stellen kann, hat viele Ursachen, eine wesentliche liegt im Regierungsproporz. Momentan sitzen alle vier im Landtag vertretenen Parteien auch in der Regierung. Die tatsächliche Arbeitskoalition bildeten in den vergangenen zwölf Jahren ÖVP und Grüne. Die Sozialdemokraten durften ein bisschen mitregieren, befanden sich de facto jedoch in Opposition. Einen solchen schizophrenen Zustand hält allenfalls die FPÖ aus.
Versuche, dieses überkommende Modell zu beseitigen, wurden von SPÖ und FPÖ stets vehement abgewehrt – aus unterschiedlichen Motiven. Den Freiheitlichen verleiht der Platz am Regierungstisch allemal Prestige. Die vor sich hin siechenden Sozialdemokraten wiederum klammern sich an die letzten Zipfel einer Macht, die vorwiegend aus ein paar Ämtern und aus dem Repräsentativen besteht; wirkliche Gestaltungs- und Profilierungsmöglichkeiten ergeben sich nicht.
Wird Entholzers Buhlen von der voraussichtlich zwar ebenfalls geschwächten, aber wiederum stimmenstärksten ÖVP nicht erhört, könnten seine Tage an der Parteispitze gezählt sein. Eine Alternative zu ihm drängt sich derzeit freilich nicht auf. Infrastrukturminister Alois Stöger wäre womöglich zu einer Heimkehr nach Oberösterreich bereit, was zudem Faymann Spielraum für eine alle Widrigkeiten vernebelnde Regierungsumbildung im Herbst eröffnen würde. Ob Stöger der Richtige ist, um die darnieder liegende Partei wieder aufzurichten, wird parteiintern jedoch mehrheitlich bezweifelt. Ein Ende des Niedergangs ist nicht absehbar.