ANALYSE. Der Vizekanzler stellt sich in den Dienst von Christian Kern. Als ÖVP-Chef setzt er damit alles auf eine Karte.
Als ÖVP-Chef ist Reinhold Mitterlehner in den vergangenen Wochen vorgeführt und angezählt worden: Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll zeigte, dass er nicht mehr als eine Art Geschäftsführer ist, indem er persönlich so ganz selbstverständlich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner durch Wolfgang Sobotka ersetzte. Und ein großer Teil der Funktionäre ist der Überzeugung, dass Außenminister Sebastian Kurz die Volkspartei als Spitzenkandidat in die nächsten Nationalratswahlen führen werde.
Vor diesem Hintergrund ist der neue Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Christian Kern nicht nur für die Sozialdemokraten ein Hoffnungsträger, sondern auch für den gedemütigten Reinhold Mitterlehner. Zumal er nichts mehr zu verlieren hat, kann er mit diesem alles auf seine Karte setzen.
Kern erweckt den Eindruck, dass er so oder so entschlossen ist. Und Mitterlehner bekräftigte dies in seinem „Kurier“-Interview am vergangenen Wochenende. Wirklich ändern können die beiden freilich nur dann etwas, wenn sie klarmachen, dass sie sich letzten Endes auch über Landeshauptleute und Interessensvertreter hinwegsetzen würden, die bisher angeschafft haben. Möglich ist das: Abgesetzt werden können auf absehbare Zeit beide nicht.
„Ich will“, erklärte Reinhold Mitterlehner am 18. Mai nach der Antrittsrede, die Christian Kern im Nationalrat gehalten hatte; darin bekräftigte er, das Land erneuern zu wollen. Und Mitterlehner beteuerte sogleich die Bereitschaft, mitzuhelfen. Wobei er das nur für sich selbst mit Sicherheit erklären konnte: Er sagte nicht „Wir wollen“, sondern „Ich will“. Was seine Parteifreunde betrifft, so hat er ganz offensichtlich seine Zweifel: „Ich glaube, unsere Seite will auch“, fügte er folglich hinzu, als müsste er diese Formulierung mit einem Fragezeichen abschließen.
Wenn man genauer hinschaut, sieht man auch bei Mitterlehner einen größeren Spielraum: Eine Obmanndebatte wäre für die Partei selbstmörderisch.
Am Wochenende lieferte Mitterlehner im „Kurier“ einen ersten Hinweis darauf, wohin die Reise gehen soll. Die Sozialpartner müssen sich demnach „umorientieren“. Sie werden sich mit weniger Gewicht zufriedengeben müssen. Die Regierung werde künftig auch auf die Expertise von Wirtschaftsforschungsinstituten, aber auch privaten Einrichtungen wie der Agenda Austria zurückgreifen.
Was folgte, war ein Aufschrei der Sozialpartner. Sie müssen sich jedoch auf noch mehr gefasst machen: Wenn Kern und Mitterlehner wirklich die Wirtschaft in Schwung bringen wollen, dann müssen sie Dinge infrage stellen, die besonderes der Arbeiter- und der Wirtschaftskammer ganz und gar nicht recht sein können – von Gewerbe- bis hin zu Arbeitszeitbestimmungen.
Dass Kern die Möglichkeit hat, die Muskeln spielen zu lassen, sieht man auf den ersten Blick: Die Sozialdemokratie liegt mitsamt der Gewerkschaft derart am Boden, dass er sich zumindest vorübergehend so gut wie alles erlauben kann. Und wenn man genauer hinschaut, dann sieht man auch bei Mitterlehner einen größeren Spielraum: Die Partei hat es nach der Präsidentschaftswahl verabsäumt, Konsequenzen zu ziehen. Und jetzt wäre eine Obmanndebatte auf absehbare Zeit schlicht und ergreifend selbstmörderisch: Das Risiko, dabei mehr Schaden anzurichten als selbst ein Sebastian Kurz wiedergutmachen kann, ist ganz ganz einfach zu groß.