Ludwig der Getriebene

ANALYSE. Auch nach einem Jahr konnte der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Vorsitzende nicht von der Reaktion zur Aktion übergehen. So schnell ändern wird sich das kaum.

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ANALYSE. Auch nach einem Jahr konnte der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Vorsitzende nicht von der Reaktion zur Aktion übergehen. So schnell ändern wird sich das kaum.

Es kam, wie es kommen musste: Die Wiener SPÖ von Bürgermeister Michael Ludwig drückt beim umstrittenen Heumarkt-Projekt, einem Gebäudekomplex, der die Stadt aufgrund seiner Höhe den Titel UNESCO-Weltkulturerbe kosten könnte, die Pause-Taste. Und zwar für zwei Jahre und zum Nachdenken. Erhoffter Nebeneffekt: So könnte das Thema aus dem kommenden Gemeinderatswahlwahlkampf kippen, der in gut einem Jahr losgeht.

Ob das aufgeht? Fraglich: Vizekanzler (und möglicherweise auch FPÖ-Gemeinderatswahl-Spitzenkandidat) Heinz-Christian Strache sowie Kanzleramtsminister (und ÖVP-Spitzenkandidat) Gernot Blümel haben auf einer gemeinsamen Pressekonferenz bereits angekündigt, dass ihnen das nicht reicht. Sie lassen wissen, dass das Projekt in dieser Form überhaupt nicht kommen dürfe. Womit nicht auszuschließen ist, dass Ludwig letzten Endes einen Neustart verkünden wird, damit das Thema, das in Wien ungefähr so emotional diskutiert wird wie ein Großkraftwerk in einem Bundesland, wirklich vom Tisch ist.

Das zumindest würde der Logik seines bisherigen Wirkens als SPÖ-Vorsitzender und Bürgermeister entsprechen. Reaktion, nicht Aktion ist demnach angesagt. Das liegt zum einen daran, dass er ein paar schwierige Baustellen übernommen hat; und zum anderen daran, dass ÖVP und FPÖ mit ihrer Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik auch in der Hauptstadt mehrheitsfähig sein könnten, womit Ludwig Gefahr läuft, nach der Gemeinderatswahl 2020 ehemaliger Bürgermeister zu sein.

Es geht vor allem darum, Schwarz-Blau Profilierungsmöglichkeiten zu nehmen. 

Der Antwort des 57-Jährigenn lautet, Schwarz-Blau so viele Profilierungsmöglichkeiten zu nehmen, wie es nur geht. In diesem Sinne versucht er eben, das Thema Heumarkt zu neutralisieren. Ähnliches gilt für die Affären um das Krankenhaus Nord: Ein Untersuchungsausschuss im Rathaus durfte sich monatelang damit beschäftigen. Bald wird er und damit auch das Thema erledigt sein. Und zumal politische Verantwortung sehr großzügig ausgelegt wird, wird wohl auch an keinem Stadtrat persönlich etwas hängen bleiben. Und überhaupt: Auf dass alles in Vergessenheit geraten möge, wird Wien sämtliche Spitäler umbenennen. Geholfen hat Vergleichbares ja schon beim extrem teuren „Skylink“ auf dem Flughafen Wien; er heißt heute „Terminal 3“.

Ludwig ist auch darüber hinaus der Getriebene: „Österreich zuerst“ ist ein Slogan, mit dem zuerst die ÖVP (bei der Bundespräsidentenwahl 1992) und die FPÖ (beim Anti-Ausländervolksbegehren kurz darauf) gepunktet haben. „Zuwanderung in Sozialsystem stoppen“ ist quasi eine schwarz-blaue Fortsetzung dieses Kurses, dem auch die Sozialdemokratie in Wien nichts entgegenzusetzen hat. Im Gegenteil: Mit dem „Wien-Bonus“, der demnächst von Wohnungs- auf Job- und andere -Vergaben ausgeweitet werden soll, übernimmt sie den Spin und fährt damit eine überaus defensive Strategie; Ziel ist es nicht, neue Wählergruppen anzusprechen, sondern Verluste an FPÖ und ÖVP zu vermeiden.

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