Keine Zeit für ein Tribunal

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ANALYSE. Leute wie der Tiroler Gesundheitslandesrat Tilg eignen sich hervorragend, sich abzureagieren. Jetzt ist das jedoch verschwendete Energie.  

Gemessen an der Bevölkerung weist Tirol die meisten bestätigten Corona-Infizierungen aus; die Skilifte liefen noch, als die Bundesregierung in Wien de facto den Notstand ausrief; aus Ischgl und St. Anton wurden tausende Touristen, die potenziell ebenfalls erkrankt sind, in alle Welt hinaus entlassen; und so weiter und so fort. Die Antwort von Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg auf all das war schon nach wenigen Stunden legendär: „Die Behörden haben alles richtig gemacht“, so der ÖVP-Politiker bei Armin Wolf in der ZiB2 immer und immer wieder.

Das wird man sich noch sehr, sehr genau anschauen müssen. Nicht nur, weil Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ausdrücklich erklärt hat, dass die einschneidenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus, die er mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag und am Sonntag verkündete, „auf viel Widerstand bei Entscheidungsträgern gestoßen“ seien. Sondern auch wegen der unermesslichen Folgen: Hier wurde die Verbreitung eines Virus befeuert, der Österreich und Europa die schwerste Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg beschert.

Dafür, das aufzuarbeiten, wird eines Tages kein U-Ausschuss reichen. Doch lassen wir das. Solche Vorgänge muss man sich merken, sich dadurch aber nicht vom Wesentlichen ablenken lassen: So lange es lichterloh brennt und es um die Rettung von Menschenleben geht, ist es dumm, sich allein an potenziellen Brandstiftern abzureagieren.

Während alle nach Tirol schauen, bleiben beispielsweise die besorgniserregenden Entwicklungen im Nachbarland Vorarlberg weitestgehend unterbelichtet. Die Zahl der bestätigten Infizierungen pro 100.000 Einwohner nähert sich dort dem Tiroler Wert. Auch dort liefen Skigebiete am Wochenende noch, auch dort waren die Gastronomiebetriebe an den Pisten noch gut gefüllt, wie sogar dem ORF-Wetterpanorama zu entnehmen war. Aber: Auch in Vorarlberg muss die Brandbekämpfung absoluten Vorrang haben, um bei diesem Sprachbild zu bleiben.

Und überhaupt: Wenn Energie übrig bleibt, dann gehört sie den Regierungsmaßnahmen gewidmet. Oder sagen wir so: Sie gehören wohlwollend-kritisch begleitet. Zumal sie heute notwendig und wirkungsvoll sein können, damit aber immer auch Tabubrüche einhergehen, die mit einem demokratischen Rechtsstaat schwer kompatibel sind.

Im gegenwärtigen Notstand haben wir eher einen autoritären Überwachungsstaat: Die Bewegungsfreiheit ist weitestgehend aufgehoben und zur Kontrolle setzt die Regierung mir nichts, dir nichts auf Bewegungsprofile des Mobilfunkers A1. Wie gesagt: In Anbetracht der riesigen Bedrohung für die Allgemeinheit kann es sogar angemessen sein, (fast) alle Bürger in eine Art Sicherungshaft zu stecken und darauf zu achten, dass sie auch dort bleiben. Es wird jedoch darauf ankommen, dass solche Maßnahmen bei erstbester Gelegenheit wieder beseitigt werden. Aber spurlos.

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