ANALYSE. Das Wien-Bashing von Sebastian Kurz ist nachvollziehbar, verschärft jedoch Konflikte zwischen Stadt und Land.
Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist in Wien geboren, aufgewachsen und hat seinen Lebensmittelpunkt nach wie vor in der Bundeshauptstadt. Umso verwunderlich mag auf den ersten Blick das Bashing sein, das er betreibt: Immer mehr Leute würden die Stadt verlassen, weil sie sich ebendort fremd fühlten, hatte er im Nationalratswahlkampf erklärt. Jetzt löste er eine Debatte darüber aus, ob gewisse Wiener nicht viel zu lange schlafen, die Mindestsicherung beziehen und ihre eigenen Kinder vernachlässigen. Das kann einen wirklich wundern. Oder auch nicht: Für Kurz geht‘s darum, seine Anhängerschaft zu bedienen – und die lebt eher am Land, wo sich die Leute ohnehin schon benachteiligt fühlen.
Auf dieSubstanz.at wurden die Verhältnisse auf Basis des Nationalratswahlergebnisses 2017 schon einmal dargestellt. Und zwar unter dem Titel „Rote Städte, türkis-blaues Land“. Konkret: In den zehn größten Städten der Republik kam die SPÖ auf 33,1 Prozent, darüber hinaus jedoch nur auf 24,5 Prozent. Bei Türkis-Blau war’s umgekehrt: Die FPÖ schaffte auf dem Land 28,3 und in den Städten nur 23,6 Prozent. Bei der ÖVP war’s noch extremer: 34,6 Prozent in den eher ländlichen Gebieten standen gerade einmal 22,6 Prozent in den größten Städten gegenüber. In Worten: Im einen Fall fünfunddreißig von einhundert Wählern, im anderen nur dreiundzwanzig. Das ist ein Riesenunterschied.
In Wien liegt die ÖVP im Hinblick auf die kommende Gemeinderatswahl überhaupt recht weit hinter SPÖ und FPÖ zurück. Mehr als „Zünglein an der Waage“ wird sie kaum werden können. Sie kann allenfalls entscheiden, welche der beiden anderen Parteien den Bürgermeister stellt. Das ist nicht nichts, für eine Kanzlerpartei aber halt doch sehr bescheiden.
Doch zurück zu den Gegensätzen zwischen Stadt und Land: Sie verschärfen sich eher. Österreich wächst alles in allem nur noch in den urbanen Räumen. In ländlichen Bezirken herrscht Abwanderung, geht die Bevölkerung zurück. Die Perspektiven sind dort nicht besonders rosig. Das erklärt wohl auch, warum es hier trotz niedriger und zum Teil sogar nicht wahrnehmbarer Ausländeranteile besonders viele ÖVP-FPÖ-Anhänger gibt: Die beiden Parteien suggerieren, dass man z.B. nur Zuwanderung ins Sozialsystem stoppen muss, um die sozialen Systeme zu erhalten und damit auch ganz generell wieder eine bessere Zukunft zu gewährleisten.
Kurz spricht damit weniger Anhänger in der Stadt an, er bedient vielmehr die Landbevölkerung
Wenn Kurz Wien-Bashing betreibt, verschärft er diese Darstellung. Er spricht damit weniger Anhänger in der Stadt an, er bedient vielmehr die Landbevölkerung, die zu einem ungleich größeren Anteil hinter ihm steht. Botschaft: „Während ihr euch abmüht, gewähren die Roten in der Hauptstadt Menschen eine Unterstützung, die diese gar nicht benötigen würden, geschweige denn vierdient hätten. Und all das geht noch dazu auf eure Kosten.“
Das Problem bei der Geschichte: Sie kann dem Kanzler anhaltende Wahlerfolge auf nationaler Ebene bescheren, verschärfte zugleich aber auch Konflikte zwischen Stadt und Land.
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