ANALYSE. Mit der City-Maut hat die Partei erstmals seit langem wieder ein Thema gesetzt. Wirklich ernst, um nicht zu sagen schicksalsträchtig, wird es für sie nun aber bei der Mindestsicherung.
Die Grünen sind aus dem Nationalrat, aber nicht ganz weg. Im Gegenteil: Georg Willi hat gerade erst das Bürgermeister-Amt von Innsbruck erobert. Und Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou hat mit ihrem Vorschlag, eine City-Maut für Pendler einzuführen, erstmals seit langem dafür gesorgt, dass aus den Reihen der Grünen ein Thema gesetzt wird, über das (fast) alle reden. Um nicht missverstanden zu werden: Hier geht es nicht um den Inhalt einer solchen Maßnahme. Sondern ausschließlich darum, dass die Grünen mit etwas Grünem eine Debatte ausgelöst haben. Davon können sie nur profitieren: Selbst wenn 80 Prozent der Leute ablehnend reagieren, finden sie 20 Prozent Zustimmung. Und das ist in ihrem Zustand schon extrem viel.
Die City-Maut ist so gesehen aber eher nur ein Lebenszeichen: Vassilakou hat Position bezogen. Durchsetzen kann sie sich damit kaum. Viel ernster ist es für die Grünen bei einem anderen Thema, bei dem sie eine größere Rolle spielen und sich denn auch entsprechend zu Wort melden: bei der Mindestsicherung. Das könnte eine wirklich große Geschichte für sie werden, bei der sie nicht nur gewinnen, sondern vor allem auch (wieder) extrem viel verlieren können.
Die Sache ist schließlich die: Die Mindestsicherung ist eine Bund-Länder-Angelegenheit. Und mit Heinrich Schellhorn (Salzburg), Gabriele Fischer (Tirol) und Katharina Wiesflecker (Vorarlberg) stellen die Grünen gleich drei Soziallandesräte in schwarz-grünen Regierungen. Das ist das eine. Das andere: Zum Beispiel im Tiroler Koalitionsvertrag haben die Grünen vor wenigen Wochen erst mit der ÖVP Festlegungen zur Mindestsicherung getroffen, die Kürzungsplänen der Bundesregierung sehr unmissverständlich entgegenstehen.
Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag in Tirol enthält ein Bekenntnis zum derzeitigen System der Mindestsicherung.
Zitat: „Ein Bekenntnis zur Aufgabe des Landes im Rahmen des Armenwesens und darin zum derzeitigen System der Tiroler Mindestsicherung (Wohnkosten auf Tiroler Niveau, Lebensunterhalt getrennt, Gleichbehandlung verschiedener Personengruppen, keine Wartefrist), wobei im Bereich der gedeckelten Wohnkosten eine Evaluierung und allenfalls Nachjustierung möglichst bis Anfang Mai 2018 so zu erfolgen hat, dass die Erkenntnisse und Ergebnisse der Härtefallkommission Berücksichtigung finden. Bundesweit wird seitens des Landes Tirol eine Vereinbarung nach Art. 15a B-VG angestrebt, wobei die höheren Tiroler Wohn- und Lebenshaltungskosten jedenfalls Berücksichtigung finden müssen. Eine externe Mietpreiserhebung wird zeitlich unabhängig von der Evaluierung der Wohnkosten in der Mindestsicherung geplant.“
Das Bemerkenswerte daran ist eben, dass es sich um eine schwarz-grüne Position handelt, die Tiroler Volkspartei also auch in der Pflicht ist. Beziehungsweise von den Grünen wohl oder übel genommen werden muss, wenn diese ihre Glaubwürdigkeit in einer wichtigen Frage bewahren wollen. Das ist selbstverständlich eine echte Probe für sie: Sie müssen alles riskieren; auch die Regierungsbeteiligung. Andererseits: Die Tiroler Volkspartei arbeitet nicht gnadenhalber mit ihnen zusammen; sie hat bei der letzten Landtagswahl erfahren, dass sie selbst auch davon profitiert. Also kann sie die Verpflichtung, die sie da im Koalitionsvertrag eingegangen ist, nicht einfach so ignorieren. Sondern muss viel eher ihren bundespolitischen Einfluss walten lassen; im Notfall über ihre Abgeordneten in National- und Bundesrat.