ANALYSE. Für Rendi-Wagner und ihre Leute geht es bei dieser Nationalratswahl nicht nur um Gewinne oder Verluste und in weiterer Folge um Regierungsbeteiligung oder Opposition.
Angenommen, nach der Nationalratswahl wird die schwarz-blaue Koalition fortgesetzt und die SPÖ bleibt in Opposition: Ist dann alles wie vor der Ibiza-Affäre? „Business as usual“, quasi? Beschränken wir uns darauf, aus SPÖ-Sicht zu antworten: Nein, ganz und gar nicht. Für die Partei tun sich dann Widrigkeiten auf, die größer kaum sein könnten. Was zeigt, um wieviel es geht für sie.
Koalitionsspekulationen sind müßig, aber ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat ohnehin selbst gesagt, dass er eine ordentliche Mitte-Rechts-Politik fortsetzen möchte; und dass er Herbert Kickl zwar nicht als Innenminister, wohl oder übel aber als freiheitlicher Klubobmann akzeptieren würde bzw. müsste. Abgesehen davon stimmt zwischen Kurz und der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner schon auf der persönlichen Ebene gar nichts und hat Kurz eh auch schon gesagt, dass es mit ihrer Partei nur Stillstand geben würde. Vor diesem Hintergrund ist eine Fortsetzung von Schwarz-Blau nicht sicher, aber die Variante, die am wahrscheinlichsten ist.
Die SPÖ müsste dann in Opposition bleiben. Wo sie nicht weitermachen könnte wie bisher, sondern mit ihrer größten Krise konfrontiert wäre. Wo soll man anfangen? Opposition gelernt hat die Partei in den letzten eineinhalb Jahren nicht; das müsste sie erst. Aber das ließe sich wohl noch am ehesten bewerkstelligen.
Viel schwerwiegender wären diese Probleme: Schwarz-blaue Reformpolitik ist direkt oder indirekt zum Schaden der Sozialdemokratie. Und zwar auf den Ebenen, auf denen sie noch etwas zu sagen hat. Das würde sich wohl fortsetzen. Was bisher lief: Zum Beispiel die Sozialversicherungsreform. Zu ihren Ergebnissen zählt, dass sozialdemokratische Arbeitnehmervertreter in den selbstverwalteten Sozialversicherungen plötzlich eher nur noch eine Art Zuschauerrolle haben.
Beispiel zwei: die Mindestsicherungsreform. Sie trifft nicht nur die Bezieher an sich, sondern ganz besonders auch die SPÖ-geführte Stadt Wien. Dort sind die meisten Bezieher zu Hause. Also hat die SPÖ-geführte Stadt ein Problem mehr. Und zwar zusätzlich zu vielen anderen Problemen, die sich ergeben, wenn ÖVP und FPÖ finden, dass weniger für Integration getan werden muss, Schulbauten verstärkt nur in ländlichen Regionen gefördert werden sollten oder das Umweltbundesamt ins schwarze Niederösterreich gehört. Zusammengefasst: Gewerkschafter und Arbeiterkämmerer werden als Sozialpartner demontiert, rote Ländervertreter bekommen es auf ihren Feldern extraschwer.
Alles. Nein: Im November wird in der Steiermark gewählt. Die SPÖ muss mit vielem rechnen. Möglich ist, dass sie von Platz eins auf Platz drei hinter ÖVP und FPÖ zurückfällt. Und dann ist nichts auszuschließen. Das einst so gerühmte Vertrauensverhältnis zwischen ÖVP und SPÖ (Reformpartnerschaft!) ist seit Aufkündigung der Zusammenarbeit durch LH Hermann Schützenhöfer (ÖVP) gestört, um es vorsichtig auszudrücken. 2020 wird in Wien gewählt und 2021 in Oberösterreich, wo die SPÖ einst (1967) 46 Prozent und zuletzt (2015) nur noch 18 Prozent holte.
Wien ist überhaupt ein eigenes Kapitel für die SPÖ, seit die Neos angekündigt haben, dass sie in der Bundeshauptstadt einen Machtwechsel herbeiführen wollen. Wobei die Neos selbst aus heutiger Sicht nicht viel ausrichten können, sondern eigentlich nur ÖVP und FPÖ behilflich sein können, eine gemeinsame Mehrheit vorausgesetzt. Womit die SPÖ abhängig ist von einer rot-grünen Mehrheit.
Doch das mit den Grünen ist für die SPÖ nicht lustig. Ganz im Gegenteil: Was die Freiheitlichen besonders in den 1990er Jahren waren, könnten mehr denn je die Grünen werden. Die größten Konkurrenten nämlich. Einst haben die Freiheitlichen der SPÖ sehr viele Wähler abgenommen, jetzt stehen die Grünen davor. Sie setzen dazu an, einen Teil der Wähler zu holen, die noch übrig sind – insbesondere Jüngere in den Städten. Vor allem in Wien wird man bei dieser Nationalratswahl mehr dazu erfahren.
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