ANALYSE. Für die Partei ist es gut, dass Eva Glawischnig durch ihren Rücktritt eine Neuausrichtung ermöglicht; eine solche ist überfällig.
Die Ausgangslage im Hinblick auf die Nationalratswahl am 15. Oktober wirkt für die Kleinparteien denkbar schlecht. Ganz besonders auch für die Grünen. Zunächst das Offensichtliche: Wenn es nicht nur ein Kanzler-Duell, sondern möglicherweise sogar einen -Dreikampf gibt, dann bleibt der oder die Vierte, die keine Chance hat, RegierungschefIn zu werden, naturgemäß übrig. Zu viele Wähler haben entweder ein passendes Angebot (Christian Kern, Sebastian Kurz oder Heinz-Christian Strache); oder sie haben keines, wollen unter allen Umständen aber, dass sich eines der vorhandenen nicht durchsetzt. Sprich: Potenzielle Grünen-Wähler werden in der Regel Strache verhindern wollen; das aber tun sie am ehesten, wenn sie Kern stützen. Genau nach diesem Muster hat die Partei denn auch schon viel viele Wahlen verloren.
Wie schon Van der Bellen hat sie die Partei auf einen Kurs geführt, den man als „pragmatisch“ bezeichnen könnte. Um nicht gar „beliebig“ zu schreiben.
Unter Eva Glawischnig hat sich dieses Dilemma verstärkt: Wie schon ihr Vorgänger Alexander Van der Bellen hat sie die Partei auf einen Kurs geführt, den man als „pragmatisch“ und „nach fast allen Seiten hin offen“ bezeichnen könnte. Um nicht gar „beliebig“ zu schreiben. Ergebnisse: Selbst bei ihrem Kernthema, dem Klimaschutz, wagen sie es nicht mehr, kompromisslose Forderungen zu erheben. Anstelle eines Dieselverbots, wie er weltweit diskutiert wird, geben sie sich lieber fahrradfahrerfreundlich. Auch eine saftige Steuererhöhung für fossile Energieträger würde ihnen nicht in den Sinn kommen. Und so weiter und so fort.
Die Grünen sind heute für zu vieles zu haben: Eine Regierungszusammenarbeit mit der SPÖ in Wien oder mit der ÖVP in den westlichen Bundesländern. Damit ist es schwer für sie geworden, bundesweit Kante zu zeigen. Auch in sozialpolitischen Fragen: In Vorarlberg und Tirol sahen sie sich zuletzt etwa zur Empörung von Kernwählern gezwungen, bei der Mindestsicherung der Volkspartei nach rechts zu folgen und Einschnitte mitzutragen.
Doch die Grünen bekommen ja nun eine Chance. Aussichtslos ist die Sache nicht. Im Gegenteil.
Ein bisschen machen die Grünen heute den Eindruck, sowohl die vernünftigeren Schwarzen als auch die vernünftigeren Roten sein zu wollen. Zumal ÖVP und SPÖ mit Sebastian Kurz und Christian Kern mittlerweile aber selbst Spitzenkandidaten haben, die für ihre Verhältnisse sehr attraktiv sind, wird’s damit eng.
Doch die Grünen bekommen nun ja durch den Glawischnig-Rücktritt zumindest eine Chance. Aussichtslos ist die Sache nicht. Im Gegenteil: Gerade weil Kern, Kurz und Strache Kanzler bleiben bzw. werden wollen, werden sie sich inhaltlich sehr breit aufstellen müssen. Siehe Kern und die sozialdemokratische Blockade in Sachen Homoehe. Oder das Zögern selbst westösterreichischer ÖVP-Politiker, endlich die von ihnen eigentlich geforderten Modellregionen zur Gemeinsamen Schule zu ermöglichen. Allein das zeigt den Grünen, dass sie inhaltliche Alternativen anbieten können, wenn sie nur aufhören, im Sinne möglicher Regierungsbeteiligungen nach einem Urnengang von vornherein zögerlich zu sein, bzw. anfangen, eine ziemlich kompromisslose, vor allem aber leidenschaftliche Politik dafür zu machen, was sie für richtig halten. Zehn bis 15 Prozent der Wähler könnten sie damit jedenfalls allemal ansprechen; und mehr ist sowieso nicht drinnen.
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