ANALYSE. In Niederösterreich sieht man nach einem geplatzten Ansiedlungsprojekt ein Warnsignal für die Zukunft. Wenn man das wirklich ernst meint, müsste die ÖVP-FPÖ-Koalition zu einer radikalen Kursänderung schreiten.
Erst vergangene Woche hatte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) eine gute Entwicklung ihres Landes gesehen und dies mit der gelungenen Betriebsansiedlung eines Pharmakonzerns begründet, „wo wir im Wettbewerb mit anderen Ländern wie Spanien, Deutschland oder den USA gestanden sind – und es geschafft haben“.
Zu früh hat sie sich selbst gelobt, zu früh wurde diese Ansiedlung im vergangenen Jahr auch von Mikl-Leitner gefeiert. Vor der Landtagswahl wollte sie damals offenbar erst recht nicht auf die Vollendung warten. Das rächt sich: Gestern teilte der Konzern Boehringer Ingelheim mit, die Konzernstrategie geändert zu haben und das 1,2 Milliarden Euro-Projekt in Bruck an der Leitha nicht zu realisieren.
Dafür kann Mikl-Leitner nichts. Sie trägt jedoch Verantwortung dafür, dieses Projekt, bei den es um 800 Jobs ging, bereits auf ihre Fahnen geheftet zu haben. Insofern muss sie jetzt auch damit leben, dass Enttäuschungen an ihr entladen werden.
Wie das so ist in der Politik: Läuft die Wirtschaft gut, führen das Regierende gerne auf ihre Maßnahmen zurück. Läuft die Wirtschaft schlecht, mögen sie zwar nicht schuld daran sein, das glaubt ihnen dann aber kein Mensch.
Wichtiger bei der ganzen Geschichte ist, was der niederösterreichische Wirtschaftslandesrat Jochen Danninger (ÖVP) nun festgestellt hat: Auch wenn die Entscheidung von Boehringer Ingelheim „unternehmensinterne Gründe“ habe, sei sie ein Warnsignal für die Zukunft: „Wir müssen noch stärker darauf achten, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreichs wieder zu stärken und uns auch gegen jede Maßnahme, die dem Wirtschaftsstandort schadet, entschieden zu Wehr setzen.“
Wo anfangen? Am besten bei der niederösterreichischen Landesregierung selbst: Ihr Arbeitsprogramm ist zynisch wie standortfeindlich. Unter Federführung von Mikl-Leitner und Udo Landbauer (FPÖ) erstellt, ist es nur wenige Seiten lang. Trotzdem hat genau das Vorrang: Corona. Beziehungsweise insbesondere eine Refundierung bezahlter Strafen und die Ankündigung, nicht mehr zum Impfen aufzurufen.
Wirtschaft wird gestreift, wirtschaftliche Interessen werden konterkariert: Niederösterreich will nicht alle Kraft in den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen stecken, sondern Familien fördern, die ihren Nachwuchs zu Hause behalten. Auf dass Frauen wissen, wo sie hingehören.
Für Schulhöfe ist ein Fremdsprachenverbot angesagt. Allein das könnte schon ein Grund für einen internationalen Konzern sein, sich nicht niederzulassen: Kinder von Mitarbeitern aus aller Welt sind nicht willkommen, so die Botschaft. Beziehungsweise nur, wenn sie sich assimilieren.
Bei der ganzen Geschichte kann man überhaupt in Niederösterreich bleiben, so viel Standortschädigendes passiert hier. Im Bemühen, Arbeitskräfte für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, will AMS-Chef Johannes Kopf einen Sondertopf von bis zu 100 Millionen Euro für Geflüchtete: „Die Integration dieser Menschen ist sozialpolitisch wichtig und ökonomisch sinnvoll“, sagt er in einem „Standard“-Interview. Woher kommt Widerspruch? Aus St. Pölten: Landesrätin Susanne Rosenkranz (FPÖ) findet, wenn schon mehr Geld in Ausbildungen gesteckt werden solle, „dann für die eigene Bevölkerung“. Als würden Geflüchtete nicht dazugehören. Als würde Rosenkranz die wirtschaftliche Dimension nicht sehen. Korrektur: Sie mag sie nicht erkennen. Auch ein Eingeständnis.