Maulkorb

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ANALYSE. Twitter-Verbot für ORF-RedakteurInnen: SPÖ-naher Stiftungsrat fordert, woran gearbeitet wird.

Der ehemalige englische Fußballspieler Gary Lineker hat vor wenigen Wochen auf Twitter mitgeteilt, wie er Asylbestimmungen der britischen Regierung sieht: Sie seien denjenigen Deutschlands in den 1930er Jahren nicht unähnlich. Sein Arbeitgeber, die BBC, teilte daraufhin mit, dass er gegen Richtlinien verstoßen habe und seine Moderatorentätigkeit ruhen lassen müsse. Das löste Proteste aus, Kolleginnen und Kollegen solidarisierten sich mit Lineker. Am 13. März nahm die BBC die Suspendierung zurück.

In Österreich könnte ein solcher Konflikt schon bald undenkbar sein: Heinz Lederer, SPÖ-naher Stiftungsrat des ORF, fordert für dortige Redakteure ein „absolutes“ Twitter-Verbot „ohne jegliche Toleranz“. Das könnte bedeuten, dass gefeuert ist, wer dagegen verstößt. „Wenn ich einen Twitter-Kommentar verfasse, dann ist das etwas zutiefst Subjektives“, argumentiert Lederer in der „Krone“: „Eine Trennung von beruflich und privat kann es da nicht geben – auch dies widerspricht der Unabhängigkeit.“

Die Empörung darüber ist groß: Ausgerechnet ein Sozialdemokrat schreitet zum Maulkorb. Klar scheint auch: Es wäre nichts umsetzbar. „Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern“, heißt es im Staatsgrundgesetz (Artikel 13). Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist nicht minder deutlich: „Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein.“

Was Lederer fordert, wäre ein glatter Grundrechtsverstoß: Auch ein ORF-Redakteur ist „jedermann“, also Bürger. Also wird es nie dazu kommen können. Oder?

Die Aussage wirkt zunächst eben auch bemerkenswert, weil sie von einem Sozialdemokraten kommt. Wobei: Lederer, heute Chef einer Lobbyingagentur, war in den 1990ern Kommunikationschef der SPÖ. Unter Viktor Klima zählte er zu den „Spin Doktoren“. Ihr Job war „Message Control“: Wie muss man was transportieren, damit es in die Medien kommt. Kritischer, also echter Journalismus, ist da störend.

Nichtsdestotrotz würde man ein Twitter-Verbot wohl eher von Freiheitlichen oder Türkisen erwarten, ziehen Herbert Kickl und Karl Nehammer doch immer offener gegen den ORF und Redakteure, die ihnen lästig sind, zu Felde. Medienministerin Susanne Raab hat den Sender gerade als „Privilegienstadel“ herabgetan. Sehr wahrscheinlich würden sie das aber nie so offen angehen wie Lederer.

Die Sache ist gefährlich: Bei Lederer ist es wie bei der Suspendierung von Lineker. Es ist dazu angetan, eine Protestwelle auszulösen. Die Ungeheuerlichkeit ist offensichtlich. Bei Türkisen läuft das Ganze subtiler ab, und auch Blaue legen es so an, wenn sie Macht haben.

Der ORF hat vor bald eineinhalb Jahren einen Generaldirektor bekommen, bei dem bis heute nicht klar ist, wie er journalistische Unabhängigkeit und ihre Gewährleistung sieht. Gewählt wurde er durch einen parteipolitisch durchsetzen Stiftungsrat, in dem es eine türkise Absolute gibt. Wobei klar war, dass er der „ÖVP-Kandidat“ ist.

Was Lederer durch ein absolutes Verbot ohne jegliche Toleranz regeln würde, geistert schon länger durch den Sender: Dass man aufpassen muss, wie man sich politisch äußert und daher am besten überhaupt schweigt. Es gibt Redakteure, die darauf pfeifen: Sie sind so prominent, dass man es sich – wie bei Lineker – nicht leisten könnte, sie zu bestrafen. Bei einer Masse ist das anders, wird eine Kultur der Selbstzensur befeuert.

„Unabhängigkeit“ ist ein gerne bemühter, jedoch absurder Vorwand: Er verwechselt Standpunkte mit unzulässiger Parteiname, Verletzung einer Äquidistanz und dergleichen. Behauptet gleich auch, es sei (für den ORF) unternehmensschädigend, Blaue oder Türkise zu kritisieren. Weil man ja mit allen können müsse. Umgekehrt greifen das Parteienvertreter dankend auf und behaupten, sagen wir, XY könne nicht unabhängig sein, weil er immer nur Blaue oder Türkise und selten Grüne oder Pinke kritisiere.

Hier schließt sich der Kreis: Es geht um genehme Berichterstattung durch Redakteure, die allenfalls nur zu Hause, privat, einen Standpunkt haben. Und weil das durch ein Twitter-Verbot nicht erreicht werden kann, wird eben versucht werden, dem durch immer neue interne Richtlinien nahezukommen. Mit dem gleichen Ergebnis.

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