Der ORF braucht nicht nur Geld

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ANALYSE. Das VfGH-Erkenntnis zu den Gebühren enthält den Hinweis, dass auch die Unabhängigkeit des Öffentlich-Rechtlichen sicherzustellen ist.

Der Verfassungsgerichtshof (VFGH) hat festgestellt, dass auch jene Haushalte eine ORF-Gebühr zu entrichten haben, die „die Programme ausschließlich über Internet hören oder sehen“. Darüber kann man sich ärgern, freuen oder was auch immer – relevant ist es nicht. Der Kommentar von FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker kommt jedoch einem Angriff auf den Rechtsstaat gleich: „In Zeiten der Rekordteuerung fällt dem VfGH nichts Besseres ein, als dem ORF einen Freibrief für die Ausweitung der Abzocke der Menschen zu erteilen. Das ist nicht einzusehen. Man muss die Bürger vor dieser unsäglichen Allianz zwischen dem ORF und dem VfGH retten!“, schrieb er in einer Aussendung wörtlich. Das kann bedeuten, dass der VfGH zerschlagen werden muss; oder zumindest willfährig im Sinne der FPÖ gemacht werden muss. Wie Herbert Kickl einst gesagt hat: Recht hat der Politik zu folgen.

Hafenecker kritisiert nicht etwa das VfGH-Erkenntnis, er unterstellt den Höchstrichtern vielmehr, sich böswillig gegenüber den teuerungsgeplagten Menschen in den Dienst des ORF gestellt zu haben.

Dabei hat der VfGH eine sehr ausführliche Begründung vorgelegt, die plausibel klingt: Ein eigenes Verfassungsgesetz sichere die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, diese erfordere wiederum die Sicherstellung ausreichender Finanzierung. Das vom Gesetzgeber vorgesehene Finanzierungsmodell (Gebühren) dürfe keine wesentlichen Lücken enthalten. Immer mehr Menschen rezipieren Programme jedoch ausschließlich über Internet, am Smartphone oder wo auch immer. Bisher ist das nicht gebührenpflichtig. Das ist eine wachsende und daher wesentliche Lücke, die laut VfGH geschlossen werden muss.

Das wäre natürlich ein günstiger Zeitpunkt für eine grundsätzliche Debatte: Andere Länder, wie Deutschland oder die Schweiz, sind längst zu einer geräteunabhängigen Haushaltsabgabe übergegangen. Alle zahlen sozusagen für Journalismus, der der Allgemeinheit verpflichtet ist.

Die FPÖ würde die Gebühr nicht reformieren, sondern abschaffen. 2018/19 war sie diesem Ziel in der Koalition mit der Sebastian-Kurz-ÖVP nahe. In einem geheimen Sideletter war dies bereits vereinbart. Stattdessen sollte der ORF aus dem Budget finanziert, also an die Leine der Regierung genommen werden. Womit klargestellt wäre, wem er laut Hafenecker und Co. verpflichtet sein sollte.

Genau das Gegenteil davon wäre jedoch nötig. Der VfGH stellt die Unabhängigkeit des ORF mit ins Zentrum seiner Begründung. Dazu gehöre nicht nur die ausreichende Finanzierung, sondern etwa auch die „organisatorische Unabhängigkeit“. Diesbezüglich hapert es so sehr, dass der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) unlängst ankündigte, mit einer eigenen Anfechtung vor das Höchstgericht zu ziehen.

Die Verhältnisse sind wirklich haarsträubend: Grüne haben es sich auch nach dem Abgang von Sebastian Kurz nicht nehmen lassen, ihren langjährigen Mitarbeiter Lothar Lockl zum Vorsitzenden des mächtigen ORF-Stiftungsrates zu küren; und zwar mit Hilfe einer ÖVP, die durch gefinkelte Regelungen eine absolute Mehrheit in diesem Gremium hält. Selbst im Publikumsrat lässt die Partei nichts unversucht, Einfluss auf die Zusammensetzung zu nehmen. Hemmungslosigkeit ist ein Hilfsdruck für das, was hier Praxis ist.

Es wird also nicht reichen, die ORF-Gebühren auf Streaming-Dienste auszuweiten. Es muss auch erst eine echte, organisatorische Unabhängigkeit hergestellt werden. Und wenn man das VfGH-Erkenntnis sehr weit fasst, kann man überhaupt auch die Notwendigkeit einer umfassenden Medienförderungsreform herauslesen: „Angesichts der grundlegenden Veränderungen der Informationswelt in den letzten Jahren“ ist Journalismus noch wichtiger geworden. Gerade in Österreich wird ihm jedoch politisch motiviert zugesetzt. Durch „Message Control“ und eine Inseratenpolitik, die laut dem Medienwissenschaftler Andy Kaltenbrunner bisher keine Konsequenzen aus offenkundigen Korruptionsaffären gezogen hat.

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