Widerspruch!

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ANALYSE. Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich kritisch begleiten zu lassen. Das könnte dem Wegen aus den vielen Krisen nur dienlich sein.

Man kann so gestrickt sein, dass man Widerspruch eher als etwas Unerträgliches betrachtet, das unterbunden werden muss. Ein Stück weit hat sich diese Geisteshaltung leider auch in der österreichischen Bundesregierung breit gemacht. Und da reden wie jetzt nicht nur vom Kanzler, der unlängst gemeint hat, dass er nicht auf die falschen Experten höre. Als würde man das, gerade wenn man nicht vom Fach ist, einfach so feststellen können. Ja, was heißt hier überhaupt „vom Fach“? Die Coronakrise ist auch eine Wirtschafts- und Sozialkrise; und eine Gesellschafts-, Rechts- und Demokratiekrise. Da gibt es nicht nur die Zahl der COVID-19-Todesfälle, sondern auch die vielen anderen Probleme, die immer mitberücksichtigt werden sollten.

In diesem Text geht es um alle Regierungsmitglieder: Niemand hindert zum Beispiel Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) daran, Querdenker – oder sagen wir doch gleich: Querulanten – aus Sport, Kunst und Kultur einzuladen, ihn zu beraten oder seine Entscheidungen öffentlich zu kommentieren. Klar, das könnte unangenehm werden. Es würde vor allem aber auch lehrreich werden und Kogler helfen, zu Lösungen zu gelangen, zu denen er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nie und nimmer gekommen wären.

So könnten, ja müssten etwa auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) und Christine Aschbacher (ÖVP) agieren: Es ist unerträglich, wie viele Einzel-, Klein-, Mittel- und Großunternehmer sich über die bürokratischen Hürden bei den – sicherlich gut gemeinten – Hilfspaketen beklagen. Da herrscht blanke Verzweiflung. Kein Wunder: Es geht um die Existenz. Umso mehr muss es verwundern, dass die beiden Ministerinnen nicht auf die Idee kommen, ein offenes Forum mit Betroffenen zu veranstalten, bei dem alles auf den Tisch kommt. Natürlich, es würde sehr heftig werden. Und das ist wohl auch der Grund, warum das ausbleibt: Aalglatte Politik-Inszenierung ist trotz der Not wichtiger als Problemlösung.

Apropos Inszenierung: Das Unbehagen darüber, dass sich Österreich als Musterschüler im Umgang mit dem Coronavirus gibt, kommt nicht irgendwoher. Erstens: Man kann es nicht oft genug wiederholen, aber in Ischgl und St. Anton ist auch von politischer Seite her zu lange gezögert worden, sodass man sich selbst und mehreren anderen Ländern, in die die Touristen wieder zurückgekehrt sind, eine unnötig große Pandemie bescherte. Das ist gar nicht musterschülerhaft. Wie es auch Zweitens und Drittens nicht sind: Viele Maßnahmen sind zwar gesundheitlich wirkungsvoll (wie die Pandemiedaten zeigen), sie sind zum einen zu oft aber nicht nachvollziehbar, weil die Entscheidungsgrundlage zu intransparent ist; und sie sind zum anderen nicht auf ihre Verhältnismäßigkeit abgeklopft.

Diesbezüglich fehlt in Österreich eine Debatte aller Engagierten und vor allem auch unterschiedlichster Fachrichtungen: Corona-Todesfälle verhindern ist gut. Wie weit muss und soll man dafür aber gehen? Zugegeben: Weil man über das Virus zu wenig weiß, wird es nie eine befriedigende Antwort darauf geben können. Es wäre aber wichtig, endlich auch darauf zu schauen, was uns der Lockdown gesellschaftlich, wirtschaftlich und sozial gekostet hat.

Lieber redet man darüber, dass Schweden mit einem Sonderweg scheitere. Und dass man dort jetzt auch auf den österreichischen Weg umschwenken müsse. Was letzten Endes nicht ausgeschlossen ist. Die aktuellen Zahlen aus dem hohen Norden zeigen jedoch, dass die Zuwachsraten auch dort – ohne Lockdown – in den niedrigen, einstelligen Prozentbereich gesunken sind und die Kurven flacher werden. Sprich: Vielleicht ist der österreichische Weg alles in allem doch nicht der allerbeste? Zumindest Gewissheit kann es diesbezüglich keine geben.

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