Zumutung im Bild

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KOMMENTAR. Der ORF vermittelt über die ZIB1 eine Vorstellung von Politik, die in einer Demokratie nichts zu suchen hat.

Die Regierung will in der Pandemie nur das Beste und macht ihren Job tadellos; die Opposition hätte zu schweigen, ist aber ausschließlich destruktiv. Das ist keine Darstellung aus der „Message Control“-Abteilung des Kanzleramts, sondern eine Zusammenfassung dessen, was die Moderatoren Tarek Leitner und Hans Bürger in der ORF-Nachrichtensendung ZIB1 am Dienstagabend vermittelt haben.

„So groß war die Kluft zwischen Regierung und Opposition wohl noch nie“, ging Leitner zur Sache und ersuchte Bürger zu erklären, wie sich in diesem politischen Klima ein so großes Problem wie Corona lösen lasse. Antwort Bürger: Er habe schon im März gesagt, dass sich das Virus und die gesamte Gesundheitspolitik eigentlich nicht für Parteipolitik eigne („und bei dieser Einschätzung bleibe ich“). Zwar könne man von der Opposition nicht verlangen, dass sie neun Monate lang schlafe, übertreiben sollte man es aber nicht.

Im Übrigen betonte Hans Bürger noch folgendes: Möge man wenigstens bei der Impfung der Wissenschaft den Vorrang lassen (wobei offen blieb, ob er damit ausschließlich die Opposition meinte). Und: Die „Das Beste aus beiden Welten“-Regierungsparteien ÖVP und Grüne hätten gewissermaßen das Glück, in Zeiten wie diesen nur das Beste für die gesundheitlichen und die wirtschaftlichen Entwicklungen in diesem Land finden zu müssen. Ende der Durchsage.

Da steckt so viel Demokratie- und Geistfeindlichkeit drinnen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll:

Leitner vermittelt, die Opposition sei ausschließlich destruktiv, lehne alles ab, was die Regierung mache. Offenbar hat er bei der eigenen Sendung nicht aufgepasst. Die erste Meldung lautete: „ÖVP, Grüne und SPÖ beschließen dritten Lockdown.“ Die SPÖ ist bekanntlich Teil der Opposition. Vergessen?

Bürger tut so, als wäre die Krise keine Zeit für Demokratie bzw. Auseinandersetzung. Es soll quasi nur einen wahren Weg geben. Erstens sei an dieser Stelle an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erinnert, die dazu ermuntert, gerade jetzt Kritik zu üben. Wann denn sonst? Wenn es wieder (eher nur) um Belanglosigkeiten und weniger große Grundrechtseingriffe und Entscheidungen mit existenziellen Folgen für viele geht? Zweitens: Bürgers Aussage unterstellt, dass ÖVP und Grüne Eigeninteressen komplett hintanstellen und ausschließlich dem Wohlergehen von 8,9 Millionen Menschen dienen, die in Österreich leben.

Das ist naiv und blendet aus, was ist: Türkise Landeshauptleute werden über weitreichende Maßnahmen zuerst informiert. Sprich: Nicht nur rote Landeshauptleute, sondern mit ihnen auch „ihre“ Bürgerinnen und Bürger haben einen Informationsrückstand und damit unter Umständen auch gewisse Nachteile zu befürchten. Gerade auch in der Pandemie wird zudem türkise bzw. Kurz’sche Selbstinszenierung praktiziert. An dieser Stelle sei nur an die Message erinnert, nach einem Anruf bei einem Pharmakonzern erhalte Österreich bis Ende März 900.000 Impfdosen. Damit wurde unterschlagen, dass sie in Wirklichkeit schon über die EU organisiert waren.

Doch weiter: Auch beim Impfstoff lässt die Regierung nicht nur Wissenschaftler wirken. Der Versuch, unmittelbar nach Weihnachten spektakulär fünf (!) Impfdosen eigens mit einem Hubscharuber nach Vorarlberg fliegen zu lassen, spricht Bände. Das ist eine Art Wahlkampf zum Quadrat, der hier betrieben wird und der in diesem einen Fall zum Glück aufgeflogen ist.

Dass ÖVP und Grüne nur das Beste für Wirtschaft und Gesundheit finden müssen, wäre richtig, wenn es ein Bestes geben würde (in Wirklichkeit hat natürlich alles Vor- und Nachteile, handelt es sich immer auch um Abwägungen und letzten Endes notwendigerweise politische Entscheidungen, die fast nie alternativlos sind). Frei nach Hans Bürger sind die beiden Regierungsparteien jedoch grandios gescheitert: Wirtschaftlich schmiert Österreich im internationalen Vergleich ebenso ab wie gesundheitlich (das eine ist hier und das andere hier dokumentiert). Nur andeuten, geschweige denn sagen, tut Bürger das nicht.

Natürlich würde es Möglichkeiten geben, sich auch mit der Opposition sehr kritisch auseinanderzusetzen: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner gibt sich konstruktiv, ihr Genosse Hans Doskozil mobilisiert gegen die Impfung. Das ist Wahnsinn. Umso mehr könnte man es ansprechen, ohne einen „Hauch von Propaganda“ zu betreiben. Genau das zu tun, hat die Süddeutsche Zeitung der ZIB1 im Frühjahr nachgesagt.

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