Wozu Kurz?

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ANALYSE. Mit Ablenkungsmanövern bei den Impfstoffen und dem Rückzug aus dem Krisenmanagement hat sich der Kanzler schwer geschadet. In sich gehen wird er jedoch kaum.

Die Frage ist nicht nur, was Sebastian Kurz beruflich macht (Zitat: Peter Filzmaier), sie ist brutaler: Wozu ist Sebastian Kurz überhaupt Kanzler? Wenn nicht in der schwierigsten, dann befindet sich Österreich gerade in einer extrem heiklen Phase dieser Pandemie. Mehr denn je wären folglich Führungsqualitäten gefragt: Millionen Menschen, die nicht mehr wollen oder auch können, müssen dafür gewonnen werden, noch einmal auf Kontakte zu verzichten. Kurz wäre dazu in der Lage. Zum einen kann er reden; zum anderen hat er noch immer sehr viel Anhänger, die auf ihn hören. Allein: Auch er mag nicht mehr. Zu unpopulär erscheint ihm ganz offensichtlich, was notwendig wäre.

Außerdem müsste ein Bundeskanzler Landeshauptleute und Bürgermeister „auf Linie“ bringen. So wenig wie die meisten ihrer Wählerinnen und Wähler wollen auch diese noch. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) etwa sah trotz (epidemiologisch) tiefroter Bezirke in ihrem Land bis zuletzt keinen größeren Handlungsbedarf. Kurz hätte auf sie einwirken müssen. Und zwar im Notfall auch so, wie er es sehr, sehr gerne tut, wenn es um „die EU“ oder politische Mitbewerber geht: Über die Bande, also über Medien bzw. die Öffentlichkeit. Allein: Er hat es unterlassen.

Montagabend demonstrierte der Kanzler eine Willenlosigkeit, wie man sie – bei zugegebenermaßen ungleich harmloseren Rahmenbedingungen – zuletzt eher nur bei seinem Vorvorgänger Werner Faymann (SPÖ) gekannt hat. Motto: Nichts tun. Dann kann man auch nichts falsch machen.

Kurz hat die Führung abgegeben, hat es dem ohnehin schon überlasteten wie überforderten Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grünen) überlassen, mit den Landeshauptleuten Mikl-Leitner sowie Michael Ludwig und Hans Peter Doskozil über schärfere Beschränkungen zu verhandeln. Das war nicht angemessen: Das wäre Chefsache, hier geht es um Inzidenzwerte im Allgemeinen und Menschenleben sowie nicht abschätzbare Kollateralschäden (wirtschaftliche, soziale etc.) im Konkreten. Wenn sich da ein Kanzler zurückzieht, drängt sich naturgemäß die Frage auf, was sein Amtsverständnis ist: Nur auftreten, wenn es für ihn und seine Partei etwas zu gewinnen gibt? Oder wie?

Der Kanzler hat sich selbst geschwächt. Auch mit seinen jüngsten Ablenkungsmanövern vom rot-weiß-roten Teil des Impfdebakels. „Kurz in der EU isoliert“, titelt die Tageszeitung „Die Presse“. Österreich habe keine Chance darauf, mehr als die bereits zugeteilten Biontech/Pfizer-Dosen zu bekommen. Zur Erinnerung: Kurz hatte behauptet, die Verteilung erfolge über einen „Bazar“, auf dem Österreich benachteiligt werde. Heute weiß man, dass Österreich selbst nicht zugegriffen hat. Was Kurz insofern schwer einem Beamten allein (!) in die Schuhe schieben kann, als er gerade auch bei den Impfungen immer wieder so tut, als würde er sich höchstpersönlich um alles kümmern.

Wie auch immer: Wie dem „Presse“-Bericht zu entnehmen ist, lassen EU-Partnerländer so nicht mit sich umspringen: Ländern in Notlage helfe man gerne. Aber Österreich? Ja, Österreich: Das ganze Land zahlt hier Buße, das ganze Land ist isoliert.

Man sollte nicht erwarten, dass der Kanzler nun in sich gehen wird: Im Zentrum seiner Überlegungen steht immer, wie er seine Anhänger bei Laune halten kann. Insofern könnte eine EU, die hier unnachgiebig agiert, sogar schon wieder Vorschub leisten für weitere Attacken.

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