Warum liegt Vorarlberg besser?

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ANALYSE. Sind die Menschen im Westen disziplinierter? Zumindest messbar sind eher ganz andere Dinge.

Viele Menschen in Österreich schauen gerade auf Vorarlberg: Während sie in Gegenden leben, die bereits mitten in einer dritten Infektionswelle stehen, haben im äußersten Westen der Republik vor ein paar Tagen Lokale wieder aufgesperrt. Die Inzidenz bestätigter Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche beträgt dort schließlich nur 67 (Stand: 22. März). Bundesweit handelt es sich zeitgleich um 240, in Salzburg um 300 und in Wien gar um 322 – damit ist nicht einmal an Schanigärten zu denken.

Hier geht es jedoch um die Frage, warum Vorarlberg um soviel besser liegt. Sind die Alemannen disziplinierter? Man muss aufpassen, keine Klischees zu bedienen (zumal in Vorarlberg bei weitem nicht nur Alemannen leben). Laut Google Mobility Report sind die Leute dort nicht weniger unterwegs als anderswo. Außerdem waren sie im Herbst mit einer außerordentlich schweren Infektionswelle konfrontiert – was auch nicht unbedingt den Umkehrschuss zulässt, dass sie damals furchtbar undiszipliniert gewesen sein könnten.

Verfolgt Vorarlberg also eher eine wirkungsvolle Teststrategie? Möglich. Fakt ist, dass viel getestet wird. Jedoch: Die Gesamtzahl der Tests sagt wenig bis nichts aus. Wie die Uni Wien in ihrem Corona-Blog festgestellt hat, lässt sich ein großer Teil der Bevölkerung in ganz Österreich so gut wie nie testen, lebt aber dennoch nicht zurückgezogener. Das Problem ist, dass man nicht weiß, wie viele Menschen in bestimmten Regionen sich wie oft testen lassen. Zu Vorarlberg kann man auf Basis der vorliegenden Daten zum Beispiel nur sagen, dass sich jede Bewohnerhin, jeder Bewohner im Durchschnitt (!) drei Mal testen ließ – seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr.

Die Gastronomieöffnung im Land läuft in Verbindung mit sogenannten Zugangstestungen. Für eine Zwischenbilanz ist es zu früh. Die Aktion läuft erst seit einer Woche. Ein Infektionsgeschehen wird gewissermaßen erst mit zweiwöchiger Verzögerung sichtbar (bzw. im besten Fall gar nie).

Plausiblere Erklärungen für die günstigen Verhältnisse in Vorarlberg sind diese: Ein niedriger Mutationsanteil; und eine Umgebung, in der die Inzidenzwerte generell vergleichsweise bescheiden sind.

Den Mutationsanteil („Variants of Concern”) weist die staatliche Gesundheitsagentur AGES aus. Stand 19. März bzw. in der zehnten Kalenderwoche belief er sich in ganz Österreich auf 74 Prozent. In Wien, Kärnten und dem Burgenland handelte es sich um 81 bis 95 Prozent. In Vorarlberg waren es gerade einmal 33. Das ist ein wesentlicher Faktor: Bei den mit Abstand meisten Mutationen – mittlerweile auch in Tirol – handelt es sich um die Variante B.1.17, die in Großbritannien erstmals festgestellt worden ist. Sie ist ansteckender und führt auch zu mehr Hospitalisierungen bzw. schweren Erkrankungen. Sprich: Der niedrige Anteil ist wohl ein großer Vorteil für Vorarlberg.

Zu den Inzidenzwerten: Sie sind nicht nur im Land, sondern auch in den Nachbarregionen (relativ) überschaubar. Im Kanton St. Gallen (Schweiz) ist die Inzidenz ebenso zweistellig wie in Liechtenstein. Beide stehen bewusst hier: Das sind Regionen, mit denen Vorarlberg einen Mobilitätsraum bildet. Dass das Land eine Insel sei, weil es von Ausland umgeben ist und der Arlberg eine natürliche Barriere darstellt, ist nicht ganz korrekt. Im Gegenteil: Allein nach Liechtenstein (38.000 Einwohner) pendeln mehr als 8500 Menschen aus Vorarlberg. Sie werden hier als Grenzgänger bezeichnet. Liechtenstein selbst ist wiederum stark an die Schweiz angebunden. Soll heißen: Wenn es dort wenig Infektionsgeschehen gibt, wirkt sich das auch positiv für Vorarlberg aus – und umgekehrt.

All das sind nur Momentaufnahmen. Wie schnell sich die Zahlen ändern können, sieht man ebenfalls in der unmittelbaren Umgebung des Landes: Im bayerischen Landkreis Oberallgäu har sich die Inzidenz in zwei Wochen auf knapp 120 verdreifacht, in Tirol auf mehr als 200 verdoppelt.

Allerdings: Eine Verdoppelung im Falle Vorarlbergs würde eine Inzidenz von rund 130 ergeben, während es in Wien schon weit mehr als 600 wären. Außerdem: In Vorarlberg ist es bei vergleichsweise wenigen Infektionen noch immer viel eher möglich, Kontakte nachzuverfolgen und nötige Schritte einzuleiten, um das Infektionsgeschehen zu bekämpfen.

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