Verstörte Untertanen

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ANALYSE. Nach dem Kanzler hat auch der Präsident gegen eine Regel verstoßen – nur die „Krone“ versucht, Bürgern trotzdem noch Gehorsam einzureden, anstatt endlich Eigenverantwortlichkeit einzufordern.

Zugegeben: Dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Corona-Sperrsunde (23 Uhr) um fast eineinhalb Stunden überzogen hat, hat irgendwie auch etwas Sympathisches: Das Leben ist wieder da. Andererseits: Alexander Van der Bellen ist Teil des Systems. Ob er will oder nicht. Er ist mit einer Regierung konfrontiert, die der Bevölkerung Ende März, als es laut dem Public-Health-Experten Martin Sprenger nicht mehr nötig gewesen wäre, noch einmal Angst machte und sie sich so gefügig machte. Van der Bellen hatte nichts Hörbares daran auszusetzen. Und er muss sich als erster unter gleichen Bürgern natürlich auch an die Regeln halten. Ob sie ihm gefallen oder nicht.

Insofern hat der 76-Jährige immerhin vorbildlich reagiert, indem er die Übertretung bedauerte und auch angekündigte, eine allfällige Strafe für den Lokalbetreiber zu übernehmen. Das ist einer von vielen Unterschieden zu #Kleinwalsertal: Dort hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht nur eine Versammlung provoziert. Er hat auch selbst null Abstand zu seinen Begleitern Landeshauptmann Markus Wallner und Staatssekretär Magnus Brunner (beide ÖVP) gehalten. Und er hat hinterher auch nur Bevölkerung und Journalisten verantwortlich gemacht. Botschaft: Ich persönlich habe nichts falsch gemacht!

Vor allem aber: Sebastian Kurz war es, der die Bürger mit eindringlichen Worten zu maximaler Disziplin verdonnert hat. Zu Hause bleiben, Mundschutz tragen und so weiter und so fort. #Kleinwalsertal war so gesehen ein Super-GAU: Gefühlte 8,9 Millionen Menschen in Österreich zögern, selbst Angehörigen wie besten Freunden oder den eigenen Eltern zu nahe zu kommen und dann liefert der Kanzler Bilder, die suggerieren, dass eh alles egal ist.

Der Bundespräsident hat nun in gewisser Weise nachgelegt. Zu entnehmen ist das indirekt der „Kronen Zeitung“: Im Organ der absoluten Regeltreue schreibt der Chefredakteur seinen Leserinnen und Lesern höchstpersönlich ins Gewissen, dass Van der Bellen jetzt keine neue Normalität geschaffen hat: „Zur Verteidigung aller Österreicher muss man sagen: So sind wir nicht.“ Sprich: „Wir“ halten uns trotz allem weiterhin brav an die Vorschriften!

Diese Durchhalteparolen haben wenig Aussicht auf Erfolg. Viel mehr spricht dafür, dass sich das rächt, was Mitte März seinen Anfang genommen hat: Die Regierung diktiert Vorschriften, wobei wissenschaftliche Grundlagen ebenso fehlen wie ein Freiraum für die Bevölkerung, selbst und vor allem vernünftig zu agieren. Wenn nicht gar verboten, wurde das Denken einer Masse abgenommen. Jetzt sind Teile dieser Bevölkerung in ein tiefes Loch gefallen: Es gibt zwar noch die Obrigkeit mit diversen Beschränkungen, ihre Glaubwürdigkeit ist jedoch verloren. Einzig die „Krone“ versucht das Vakuum zu füllen, allerdings ohne das zu tun, was überfällig wäre: Ein Aufruf, endlich eigenverantwortlich zu agieren – inklusive Appell an die Regierung, dies gefälligst auch zuzulassen.

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