Unter 50

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ANALYSE. Der Anteil der Katholiken in Österreich ist auf 49,6 Prozent gesunken. Rechtspopulisten nützen den Bedeutungsverlust der Kirche schamlos aus.

Die Katholische Kirche hat Zahlen, die sie betreffen, ganz gut verkauft: Im vergangenen Jahr habe es weniger Austritte und mehr Gottesdienstbesucher gegeben als 2023, berichte sie vor ein paar Tagen. Außerdem teilte sie etwa mit, dass es zwar weniger Taufen gegeben habe, begnügte sich aber mit der Erklärung, dass das auch mit dem allgemeinen Geburtenrückgang zu tun habe. In wesentlichen Zügen ist das dann auch in einigen Medien so transportiert worden.

Inhaltlich ist es nicht falsch. In Wirklichkeit ist der Anteil der Katholiken in Österreich aber erstmals auf weniger als 50 Prozent der Bevölkerung gesunken. Er beträgt nur noch 49,6 Prozent. In Wirklichkeit gibt es außerdem noch immer mehr Austritte als im langjährigen Vergleich sowie zwei Mal mehr als Taufen. Schlimmer: Die Zahl der Taufen ist weiterhin deutlich kleiner als die der Begräbnisse. Im Übrigen ist sie im vergangenen Jahr stärker zurückgegangen als die der Geburten insgesamt. Soll heißen: Da hat’s weiterhin was Gröberes.

Und die Entwicklung hat bei weitem nicht nur mit Zuwanderung zu tun. Es setzt sich auch eine Entfremdung in der Gesellschaft von der Kirche fort. Das ist insofern relevant, als sich der Eindruck erhärtet, dass parallel dazu Bemühungen von rechtspopulistischen Kräften zunehmen, eine Deutungshoheit zu kulturell-religiösen Fragen zu übernehmen.

Es ist ja nicht so, dass alle Menschen die Kirche verlassen, weil sie für sich etwas Besseres gefunden haben. Umso mehr können Identitätskrisen damit einhergehen, die aufgrund eigener Orientierungslosigkeit durch Unsicherheiten der Zeit und Konfrontation mit Fremdem verstärkt werden.

Darauf gibt es zwei rechtspopulistische Antworten. Die eine wird von Freiheitlichen geliefert, die andere von Türkisen. Herbert Kickl ist in Identitätsfragen gezielt vage. Er sagt nicht, wie „wir“ sind, sondern, so wie „wir“ sind, ist es gut; und wie andere sind, ist es schlecht. Punkt. Wobei das „Wir“ für das steht, was er als „Volk“ bezeichnet und eine Einheit vorgeben soll.

Claudia Plakolm (ÖVP) legt es offen religiös an: Zu Ostern ruft sie als Kultusministerin, die für alle da sein sollte, zum Beispiel dazu auf, „unseren Glauben und unsere Tradition selbstbewusst zu leben“. Wenn man bedenkt, dass sie mit „uns“ Christen, also überwiegend Katholiken meint, die aber eben immer weniger werden, ist das zusätzlich bemerkenswert.

Plakolm behauptet überhaupt ein klares Bekenntnis zum Christentum als kulturelles Erbe in der österreichischen Gesellschaft. Das entspricht zwar zunehmend nicht mehr der Realität, ist ihr aber egal. Sie ist nicht daran interessiert, einen Kanon zu definieren, der für alle gelten könnte, sondern sich durch diese Erzählung insbesondere von Muslimen abzusetzen.

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