Kurzpass

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ANALYSE. Der Kanzler will Privilegien für Geimpfte, Getestete und Genesene. Darüber gehört diskutiert. Zumal das eine Ungleichbehandlung wäre und entscheidende Voraussetzungen fehlen.

Als Regierungschef ist man in gewisser Weise in einer komfortablen Lage: Man kann sich auf das große Ganze konzentrieren, muss sich nicht so sehr mit der Umsetzung beschäftigen. Sebastian Kurz hat zwar gewarnt, dass es bald wieder ein exponentielles Wachstum bestätigter Infektionen geben könnte und das ist mittlerweile auch wahrscheinlicher geworden; er führt zudem ein Industrieland, das bei den Corona-Impfungen im Vergleich zu anderen Industrieländern hinterherhatscht, alls das irritiert ihn aber nicht. Er fordert die Einführung eines „Grünen Passes“, der Privilegien für Geimpfte, Getestete und Genesene ermöglicht – entweder in ganze Europa oder sonst halt nur auf nationaler Ebene. Ziel: Bald wieder in die Gänge kommen – und eine Rückkehr zur Normalität im Sommer gewährleisten.

Die Idee ist grundsätzlich nicht schlecht. Im Gegenteil. Die Liste der Probleme ist halt nur sehr lang: Erstens, der (grüne) Gesundheitsminister war vorab nicht über den Vorstoß informiert; und das unterstreicht nur, wie besorgniserregend schlecht das Krisenmanagement allein schon auf Regierungsebene koordiniert ist. Zweitens, zumindest öffentlich sichtbar gibt es null Auseinandersetzung mit einem solchen Pass; dabei ist das eine rechtlich hochsensible und zudem komplizierte Angelegenheit. Drittens, Österreich ist leider noch weit davon entfernt, einen solchen Pass einsetzen zu können.

Zu Punkt zwei: Geimpften, Getesteten oder Genesenen weniger Beschränkungen zuzumuten und größere Freiheiten zu gewähren, ist keine österreichische Idee. In vielen Staaten hat man sich auch schon eingehender damit auseinandergesetzt. In der Schweiz hat die Corona-Task Force der Regierung vor wenigen Tagen ein Papier dazu veröffentlicht. In Deutschland hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestag schon vor mehreren Wochen ein Ergebnis dazu vorgelegt. In Österreich liegt nichts Vergleichbares vor (zumindest nicht von staatlicher Seite, geschweige denn vom Kanzleramt). Hierzulande mag man sich offenbar weniger mit Sachfragen auseinandersetzen, geht man insbesondere auch leichtfertiger mit hochsensiblen Rechtsfragen um.

Das leitet über zu Punkt zwei: Die erwähnten Untersuchungen in der Schweiz und in Deutschland lassen sich damit zusammenfassen, dass sehr viel zu bedenken und zu klären ist, ehe man einen solchen Pass einführen kann.

Für Österreich gilt das ganz besonders: Hier ist trotz jahrelanger Vorbereitungen noch nicht einmal ein elektronischer Impfpass flächendeckend eingeführt. Mit Digitalisierung tut man sich nämlich schwer. Siehe Kaufhaus Österreich. Abgesehen davon sind laut Dashbord des Gesundheitsministeriums 95,58 Prozent der ab 16-Jährigen noch nicht geimpft. Sprich: Eine Bevorzugung von nicht einmal 4,42 Prozent, die zumindest eine Dosis erhalten haben, wäre derzeit eine Benachteiligung einer ganz großen Masse. Schlimmer: Diese Masse hat ja nicht einmal die Chance, von einer Benachteiligung zu einer Bevorzugung zu kommen. Nicht einmal Ältere können heute überall sagen, wann sie geimpft werden.

Außerdem weist das Papier aus dem deutschen Bundestag darauf hin, dass zu beachten ist, ab wann bestmöglicher Impfschutz gegeben ist, wie es mit der Übertragbarkeit von Viren ausschaut etc. Das wird von Impfstoff zu Impfstoff unterschiedlich sein und befindet sich zum Teil erst in Klärung.

Immerhin könnten auch Genesene und Getestete einen grünen Pass erhalten. Insofern würde sich die Gruppe der Benachteiligten gewissermaßen auflösen lassen. Testen lassen kann sich heute jeder Mensch. Immer mehr Staaten geben sich aber nicht mit einem negativen Testergebnis zufrieden, fordern bei einer Einreise mehrere oder gar auch trotzdem eine Quarantäne. China ist diesbezüglich besonders streng.

Österreich ist darüber hinaus auf dem Weg zu einem Risikoland. Natürlich, der Kanzler will gerade deshalb eine Sonderbehandlung für Einzelne ermöglichen. Das Problem ist aber, dass jemand, der aus einem Land kommt, in dem sich insbesondere auch die hochanstechende Mutation ausbreitet, die in Südafrika erstmals festgestellt worden ist, im Ausland wohl kaum mit einer Impfung oder einem Testergebnis zur dortigen Zufriedenheit nachweisen kann, dass keine Gefahr mehr ausgeht von ihm.

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