Her mit dem Generationenkonflikt!

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ANALYSE. Warum sollen sich Junge zusammenreißen? Das Virus ist weniger gefährlich für sie, die Folgen der Krise sind jedoch viel größer.

Die Swiss National COVID-19 Science Task Force hat ein paar Überlegungen angestellt, die bemerkenswert und doch verblüffend logisch klingen. Beispiel: Personen in Isolation und Quarantäne müssten „vollständigen Schutz vor negativen Konsequenzen auf ihr Einkommen und ihren Lohn erfahren“. Begründung: „Ohne solchen Schutz wird die Bevölkerung diese Maßnahmen – die so essentiell sind für die Infektionskontrolle – nicht mittragen.“

Tatsächlich: Im österreichischen Tourismus macht man gerade die Erfahrung, dass die Betriebe ihre Mitarbeiter lieber nicht testen lassen. Damit riskieren sie keine bestätigte Infektion und damit wiederum keine Betriebsschließung und damit letzten Endes auch keine weiteren Verluste. Also ist Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) mit dem Ziel, bis zu 65.000 Tests pro Woche zu erreichen, grandios gescheitert.

So ähnlich ist das wohl bei vielen Bürgerinnen und Bürgern: Wer will schon ein positives Testergebnis? Nicht missverstehen. Natürlich gibt es gute Gründe dafür. Mehr und mehr spricht aber auch dagegen: Es würde die Beziehung zu diversen Kontaktpersonen belasten; man hätte sie gewissermaßen gefährdet. Und überhaupt: In wirtschaftlich ohnehin schon angespannten Zeiten ist es ein Problem, gut zwei Wochen zu Hause bleiben zu müssen. Selbstständige etwa verlieren Aufträge bzw. Einkommen. Womit wir wieder bei der Forderung der eidgenössischen Wissenschaftler wären; eine Abgeltung allfälliger Verluste würde sehr viel abfedern.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass es auf Dauer nicht ausreichen kann, nur an die Vernunft der Menschen zu appellieren; oder ihnen ausschließlich zu sagen, sie mögen Rücksicht nehmen auf Risikogruppen. Das klingt hart, ist aber so: Längerfristig ist man sich selbst der Nächste.

Ganz besonders gilt das für die Jungen: Sie sollen sich zusammenreißen, meinte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in einem Tweet, den er in dieser Form mittlerweile selbst bedauert. Die Sache ist damit fast schon wieder vergessen. Leider. In Wirklichkeit gehört weiter darüber gestritten, gehört ein Generationenkonflikt ausgetragen.

Auf sich selbst bezogen (!) verlieren die Jungen vielfach in dieser Pandemie: Die wirtschaftlichen Folgen treffen sie am härtesten. Bei den 20- bis 24-Jährigen ist die Arbeitslosenquote mit über 60 Prozent mit Abstand am stärksten gestiegen. Unzählige Junge werden darüber hinaus vorerst keinen Berufseinstieg oder nur einen relativ schlechten zusammenbringen. Ferialjobs sind ausgefallen. Wie hier berichtet entwickeln sich die Einkommen der Jüngeren in Krisen- und Nachkrisenzeiten schlechter als die aller anderen. Schulen und Universitäten wurden so ziemlich als erstes geschlossen; und sie sind auch so ziemlich am längsten auf Not- bzw. Onlinebetrieb zurückgefahren worden. Damit sind bleibende Defizite geschaffen worden.

Auf der anderen Seite aber ist COVID-19 für die Jungen am Wenigsten gefährlich. Das verdeutlicht der Anteil der Infektionen mit Todesfolge nach Alter. Gut die Hälfte aller Frauen und Männer mit einer bestätigten Infektion bisher waren unter 45 Jahre alt. Davon sind vier verstorben: eine Person zwischen 25 und 34 Jahren sowie drei Personen zwischen 35 und 44 Jahren. Die andere Hälfte der Infizierten war älter – und davon sind 711 dem Virus zum Opfer gefallen. Anders ausgedrückt: Jungen kann COVID-19 schwer Todesängste einjagen (ganz Alten muss es das).

Wie gesagt: Man könnte jetzt an die Jungen appellieren, sie mögen sich solidarisch zeigen. Über Monate und (im schlimmsten Fall) Jahre kann ihnen das bei all den Kosten, sie sie zu tragen haben, aber schwer zugemutet werden. Es braucht vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Krisenfolgen und möglichen Abfederungen: Bildungsprogramme? Jobinitiativen? Lohnnebenkostensenkungen? Pensionsreformen? Die Fragezeichen sind hier bewusst gesetzt; zumal zunächst wohl schon mit einer überfälligen Auseinandersetzung mit Lage und Aussichten der Jungen viel erreicht wäre. Sie sind bisher ja nicht einmal ignoriert worden.

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