Gendern

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ANALYSE. Wer eine starke Gesellschaft will, streicht nicht so mir nichts, dir nichts Binnen-I oder Doppelpunkt. Auch wenn sie unschön sind.  

Wie alle Studierenden der Politikwissenschaft musste der Autor vor gut 30 Jahren eine Lehrveranstaltung zu feministischen Zugängen besuchen. Es sollte zu einer Schlüsselerfahrung an der Uni führen. Nämlich einem Verständnis dafür, dass Forschung über Jahrhunderte ausschließlich von Männern betrieben wurde; und dass dadurch vieles, was Frauen betrifft, nicht einmal ignoriert wurde. Es hatte weniger mit böser Absicht zu tun, sondern eher mit einem gewohnten Blickwinkel.

Das leitet über zu zwei – vermeintlich widersprüchlichen – Ergebnissen einer aktuellen Eurobarometer-Erhebung, über die auf diesem Blog schon berichtet worden ist: Es geht um Diskriminierung. Noch nicht erwähnt worden ist hier, dass im europäischen Vergleich in Österreich überdurchschnittlich viele Menschen der Ansicht sind, dass die Bemühungen zur Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung im eigenen Land wirksam seien. Umgekehrt hätten (wie berichtet) aber überdurchschnittlich viele ein Problem mit einem Bundespräsidenten, der homosexuell ist; oder schwarz ist oder eine andere ethnischen Herkunft besitzt als die Mehrheit der Gesellschaft.

Das lässt den Schluss zu, dass das Verständnis für Diskriminierung weniger stark ausgeprägt ist als in anderen Ländern (insbesondere skandinavischen): Man glaubt, dass man diesbezüglich gut unterwegs sei, obwohl man selbst diskriminierend tickt.

Wenn es zum Beispiel „normal“ ist, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes jahrelang zu Hause bleiben, dann wird man das kaum als Diskriminierung betrachten. Und wenn es immer schon so war, dass ausschließlich von Politikern gesprochen wird, wird man sich vielleicht wundern über Hinweise, dass Frauen damit nicht angesprochen seien.

Deutlicher betrieben wird Diskriminierung nach Geschlecht in und von rechtskonservativen Parteien. Da kann die Rede von Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf nicht immer ernstgemeint sein. Es ist eher so, dass Männer behaupten, dass es Frauen gebe, die sich gerne ganz Kindern und Küche widmen würden. Was nicht heißt, dass es das nicht gibt. Es entspricht aber eben auch von Männern entworfenen Lebensentwürfen, in denen sie es sind, die die Existenz sichern und daher das Sagen haben.

Insofern ist es kein Zufall, dass FPÖ und ÖVP die Nationalratsfraktionen bilden, in denen Frauen klar in der Minderheit sind; bei der ÖVP mit 38 und bei der FPÖ mit gar nur 13 Prozent – ausgerechnet bei der FPÖ, deren Chef Herbert Kickl ein „Volkskanzler“ sein möchte, bei der aber rund 50 Prozent der Gesellschaft (nicht nur aufgrund ihrer Einstellungen, sondern auch aufgrund ihres Geschlechts) weit unterrepräsentiert sind.

Insofern ist es im Übrigen wenig überraschend, dass nach Kickl nun auch Karl Nehammer glaubt, ein Genderverbot auf Bundesebene verordnen zu müssen: Er sieht grundsätzlich keine Notwendigkeit dafür.

Dass Binnen-I, Doppelpunkt oder Sternchen sprachlich als Problem betrachtet werden können, ist schon richtig. Es ist aber nur ein Vorwand, dagegen zu sein. Wenn man sich ernsthaft damit auseinandersetzen wollte, würde man sich überlegen, welche Form am besten geeignet wäre. Sich darauf einzulassen, wäre keine Schande: Selbst an den Universitäten heißt es, dass man sich als Versuchslabor betrachte, das auf der Suche sei.

Schon gar kein Argument ist wiederum, dass eine klare Mehrheit der Bevölkerung etwa das Binnen-I ablehne: Das ist nachvollziehbar, kein Wunder. Hier wird Gewohntes durchbrochen. Es könnte daher genauso gut als Anregung betrachtet werden, erstens einen Bewusstseinsbildungsprozess einzuleiten und zweitens eben die Leute bei der Entwicklung einer entsprechenden Sprache einzubinden.

Worum geht es? Eine Nebensächlichkeit? Nein: Es geht darum, möglichst jedem Mitglied der Gesellschaft gerecht zu werden. Das könnten auch Konservative erkennen. Stichwort Arbeitskräftemangel: Es ist notwendig, dass mehr Frauen ein- und aufsteigen. Dafür muss jegliche Form der Diskriminierung beseitigt werden.

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