ANALYSE. Vom offiziellen Österreich fehlt eine Klarstellung, welche Aussagen und Symbole auch in der großen Krise inakzeptabel sind. Besonders, wenn sie die NS-Zeit betreffen.
Gezielt an den Judenstern erinnernde Symbole mit der Aufschrift „Ungeimpft“; Plakate mit dem Wortlaut „So begann es 1938“ und „Schallenberg = Mengele“ (Quelle „Kurier“ ); ein freiheitlicher Gemeinderat aus Salzburg, der auf seiner Facebook-Seite vorübergehend eine aus der NS-Zeit anmutende Mitteilung über ein „Ausgehverbot für Juden“ teilt, wobei „Juden“ durchgestrichen und zunächst durch „Ungeimpfte“ und schließlich durch „Alle“ ersetzt wurde (dieSubstanz.at hat das Posting Facebook gemeldet, mittlerweile ist es verschwunden); ein (laut Mimikama) „grottenschlecht gefälschter“ „New York Times“-Bericht in sozialen Medien, der den Eindruck vermittelt, in Österreich würden – ebenfalls aufgrund der Impfpflicht – die Nazis wieder regieren: All das war in den vergangenen Tagen zu lesen, zu hören oder zu sehen. Und das wiederum lässt tief blicken.
Erstens: Es ist im Jahr 2021 so normal, dass sich mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel nichts dabei denken, wenn sie sich mit jüdischen Opfern des NS-Regimes vergleichen; und dass es – noch schlimmer – ohne wahrnehmbare Konsequenzen für sie bleibt. Sprich: Es ist damit zu rechnen, dass diese Szene weiter wächst.
Zweitens: Höchste Politik spielt eine sträfliche Rolle dabei. FPÖ-Chef, Ex-Innenminister Herbert Kickl distanziert sich von gar nichts, obwohl er zu den Köpfen einer diffusen Bewegung zählt, die auch die erwähnten Menschen umfasst. Im Gegenteil, er motiviert sie zu noch Schlimmerem, wenn er davon spricht, dass Österreich nach Einführung der Impfpflicht eine Diktatur sei. Das ist ein Codewort: Mit allen, aber auch mit wirklich allen Mitteln gegen eine Diktatur zu kämpfen, gilt gemeinhin als etwas ehrenwertes. Also tut man es. Sprich: Über Bilder wie von der Capitol-Erstürmung in Washington zu Beginn des Jahres sollte man sich nicht wundern.
Drittens: Zu große Teile der übrigen Politik schauen zu. Sie sind altbekannter Teil eines Problems: Schon nach Gründung der Zweiten Republik haben die damaligen Großparteien SPÖ und ÖVP ehemalige Nationalsozialisten einfach nur umworben. Auch die FPÖ galt schließlich beiden als strategisch wichtige Alternative zu einer Großen Koalition.
Vor diesem Hintergrund wuchs – anders als etwa in Deutschland – kein von, sagen wir, 90 Prozent der Menschen getragener Grundkonsens über die Ablehnung von Nationalsozialismus und seiner Verbrechen einerseits sowie dem festen Bekenntnis zur Demokratie andererseits. These: Ein ranghoher Politiker würde dort gar nicht auf die Idee kommen, von diktatorischen Verhältnisse zu reden. Oder er würde es tun, aber im Wissen, dass er und seine Partei eine Grenze überschritten haben und daher fortan gemieden werden.
In Österreich herrschen Doppelmoral und Widersprüchlichkeiten vor: Wenn man die FPÖ für eine Regierungsbeteiligung braucht, wird sie verhätschelt, lässt man ihr alles durchgehen. Ist das nicht der Fall, gibt man sich empört – aber insofern unaufrichtig, als etwa die oberösterreichische ÖVP im November 2021 ihre Zusammenarbeit mit der FPÖ inklusive Absage an eine Impfflicht auf Landesebene unbeirrt fortsetzt; obwohl gerade auch Kickl im jüngsten Wahlkampf als blauer Stimmungsmacher aktiv war.
Bei Sozialdemokraten wird das nicht durchgehend anders gehandhabt. Bei ihnen ist es so, dass es aufgrund der Mehrheitsverhältnisse keine rot-blaue Koalition mehr gibt im Burgenland.
Wobei es hier nicht so sehr um den Umgang mit einer Partei, als viel mehr mit Akzenten geht, die sie selbst setzt oder zu denen sie eine wachsende Masse ermuntert; das ist es, was eine unmissverständliche Absage von Schwarz-Türkisen, aber auch Sozialdemokraten erforderlich macht.
Warum hier so große Zögerlichkeit herrscht? Es ist das verhängnisvolle Schielen auf Wählerpotenziale. Die neue ÖVP hat zuletzt „erfolgreich“ darauf gesetzt und 2017 und 2019 Platz eins geholt. Sie müsste nun über ihren Schatten springen und dieses bedingungslose Schonen und Werben einstellen.
Leseempfehlung zum Thema: Harry Bergmann im Falter.
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