ANALYSE. Das Infektionsgeschehen hat sich zuletzt stabilisiert. Zeit für das virologische Quartett, eine Perspektive zu entwickeln. Klar ist: Ende November wird die zweite Welle noch lange nicht vorbei sein.
Ende Oktober hat das virologische Quartett, bestehend aus Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), einen zweiten Lockdown bis Ende November angekündigt. Nachts soll man nur noch gut begründet aus dem Haus gehen, Lokale sind zu.
Die gute Nachricht nach einem Drittel: Das Infektionsgeschehen hat sich stabilisiert. Zunächst in mehreren Nachbarländern und jetzt auch in Österreich. Am 10. November ist die Zahl bestätigter Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche (Inzidenz) laut AGES in sieben von neuen Bundesländern sogar gesunken. So etwas hat es seit Anfang Oktober nicht mehr gegeben.
Die schlechte Nachricht: Die Inzidenz bleibt auf extrem hohem Niveau; und auf diesem Niveau zieht sie sich noch dazu quälend lange dahin. Natürlich ist jeder Vergleich mit der ersten Welle schon allein aufgrund unterschiedlicher Test-Zahlen mit größter Vorsicht zu genießen. Trotzdem: Seit bald 60 Tagen ist die Inzidenz in Österreich höher als 50. Das ist der Grenzwert, ab dem Deutschen etwa zu Reisewarnungen schreitet. Aktuell beträgt die Inzidenz rund 500 (Berechnungsgrundlage: Daten, die das Gesundheitsministerium allmorgendlich veröffentlicht).
Die erste Welle war zwei Monate ab dem ersten Tag mit einer Inzidenz von mehr als 50 längst vorbei (siehe Grafik). Und so schritt die Regierung seinerzeit zu Lockerungen; Mitte Mai durften etwa Lokale wieder öffnen.
Die zweite Welle erreicht nach 60 Tagen im besten Fall ihren Höhepunkt; sie ist viel massiver. Auf Basis bisheriger Todesfälle und Hospitalisierungen zumindest um den Faktor zwei oder drei (sehr wahrscheinlich mehr, weil die Zuwächse hier noch groß sind). Ja, man könnte fast schon sagen, es habe keine erste Welle gegeben; das war eher nur ein Kräuseln.
Sie merken, worauf das hinausläuft? Zumal der zweite Lockdown vergleichsweise mild ist, ist nicht davon auszugehen, dass die Zahlen schnell zurückgehen werden. Im Dezember wird kaum etwas „normal“ werden können, für den Jänner wird’s knapp. Es sei denn, die österreichische und die deutsche Regierung ändern ihre Strategien: Angela Merkel und ihre Leute sagen, die Inzidenz spielt keine Rolle mehr; und Kurz und Anschober nehmen wiederum Anleihe bei Schweden oder Schweizern und lernen bei größtmöglichen Freiheiten für die Bürger mit der Pandemie umzugehen und dabei auch durchaus viel in Kauf zu nehmen.
Doch was weiß man? Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat zum Auftakt des zweiten Lockdowns gefordert, eine Perspektive zu entwickeln. Kanzler und Gesundheitsminister haben das bisher eher nur so verstanden, von einer Impfung zu reden. Jetzt könnte eine solche wirklich kommen. Allein: Bis genügend Leute geimpft sind, dauert’s. Die Vizepräsidentin der Corona-Task-Force der eidgenössische Regierung, Samia Hurst, hat vor diesem Hintergrund schon einmal eine düstere Prognose abgegeben: „Bis Herbst 2021 werden Impfungen keine Auswirkungen auf die Maßnahmen haben, die wir treffen müssen.“
In Kombination mit den vielen Neuinfektionen, die es trotz Stabilisierung noch immer gibt, wäre es also spannend, zumindest Szenarien zu haben, ob und wie beispielsweise Wintertourismus im Jänner oder Februar in die Gänge kommen könnte. Was heißt spannend? In Alpentälern geht es hier um Existenzen, halb Tirol ist abhängig davon. Ganz Österreich verdient einen guten Teil seiner Wirtschaftsleistung damit.
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