Bierlein: Relevanter denn je

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ANALYSE. Die erste österreichische Kanzlerin war eine europäische, eine weltoffene Persönlichkeit und Verfechterin einer vielfältigen Gesellschaft. In Zeiten des Rechtsrucks kommt es auf ihren Geist an.

Die erste österreichische Kanzlerin hielt die wohl kürzeste Regierungserklärung aller Zeiten. Gerade einmal elf Minuten sprach Brigitte Bierlein am 12. Juni 2019 vor den Abgeordneten des Nationalrats. Ihr Kabinett sei im Gegensatz zu diesen weder direkt noch indirekt gewählt worden, betonte sie. Ihre Worte müssten sich daher von jenen anderer Regierungen unterscheiden: „Wir haben kein Programm abzuarbeiten, wir haben keine Wahlversprechen einzulösen, wir haben keine tagespolitischen Aktualitäten zu kommentieren.“

Die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), die an diesem Montag nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 74 Jahren gestorben ist, sagte trotzdem nicht nichts. Im Gegenteil, sie setzte Akzente, die heute im Lichte geänderter Verhältnisse viel größer erscheinen.

Unspektakulär, aber wesentlich war zunächst die Einordnung der eigenen Rolle, die Bierlein vornahm. Ihre Regierung war – vereinfacht ausgedrückt – dazu da, die Lücke zwischen der türkis-blauen Regierung Kurz I und der türkis-blauen Regierung Kurz II zu füllen, nachdem der Nationalrat ersterer das Vertrauen entzogen hatte und Neuwahlen notwendig geworden waren.

Zu tun gab es laut Bierlein also „nur“ das, was notwendig war: Alle Dienstleistungen des Staates für die Bürgerinnen und Bürger garantieren sowie Stabilität und Sicherheit für die Menschen gewährleisten. Das Land am Laufen halten, sozusagen.

Kleiner Einschub: Da und dort gelang es im Sinne des von Bierlein ausgegebenen Prinzips der größtmöglichen Sparsamkeit dann auch, zu zeigen, wie wenig genug sein kann. Stichwort Regierungsinserate: In dem halben Jahr ab dem Sommer 2019 begnügten sich Kanzleramt und Ministerien mit dem, was erfolgreich schien. Das Gesamtvolumen der Ausgaben belief sich auf keine sieben Millionen Euro. Damit war es nicht einmal halb so groß wie das der Regierung von Sebastian Kurz im Vergleichszeitraum 2018, also dem Jahr davor, obwohl dieser „Sparen im System“ angekündigt hatte. Es war damit im Übrigen auch deutlich kleiner als bei der gegenwärtigen Regierung zuletzt (zwölf Millionen Euro im zweiten Halbjahr 2023).

Das soll jetzt aber wirklich nur nebenbei bemerkt werden. Bierlein hatte wichtigeres zu sagen. Zum Beispiel zu der auch damals bevorstehenden Nominierung eines Österreichers, einer Österreicherin für die Europäische Kommission. Sie brachte hier zum Ausdruck, dass sie Österreich nicht als Gegner, sondern als Teil der EU begreift. Es sei in seinem eigenen Interesse, in Brüssel als starke Stimme für Europa und in Europa wahrgenommen zu werden, betonte sie.

Bierlein stand für das Gegenteil einer zukunftsvergessenen Person, die Herausforderungen ignoriert und sich nach einer vermeintlich guten Vergangenheit mit nationalen Grenzen und dergleichen sehnt. Sie sagte: „Wir leben in einer globalisierten Welt, in der unsere wichtigsten Lebensbereiche vor großen Herausforderungen stehen; beispielhaft seien die Digitalisierung, der Klimawandel, ein nachhaltiges und finanzierbares Sozialsystem oder demografische Veränderungen erwähnt. Das sind nur einige Punkte, die für die Zukunft unseres Landes von entscheidender Bedeutung sein werden. Es liegt an uns, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen.“ Ziel sei „ein lebenswertes, wirtschaftlich erfolgreiches, weltoffenes Österreich“.

Außerdem betonte sie die Vielfalt der Gesellschaft, die aber ein Gemeinsames hat. Zitat: „Wir alle, sehr geehrte Damen und Herren, haben unterschiedliche politische Einstellungen, wir sind von unterschiedlicher ethnischer Herkunft, wir haben verschiedene religiöse Überzeugungen, Geschlechter oder sexuelle Orientierungen. Ja, wir sind verschieden. Für mich als Frau, als langjährige Juristin und Richterin gilt es, bei all dieser Unterschiedlichkeit ein verbindendes Element zu beachten, nämlich die Menschlichkeit.“

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