Andererseits

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ANALYSE. Bei allen Krisen bis zur Hochwasserkatastrophe gibt es einen roten Faden, den Herbert Kickl bisher zu seinem Vorteil weiterentwickelt: Es geht um Schwächen, die der Staat zeigt und über die Regierende vergeblich hinwegzutäuschen versuchen.

Man könnte glauben, der Wahlkampf sei vorbei. Jedenfalls, wenn man sich eine Auswertung der Google-Suchanfragen für die Kanzlerkandidaten anschaut. Sie sind in den vergangenen Tagen deutlich zurückgegangen für Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ) und Herbert Kickl (FPÖ). Siehe Grafik. Die Anfragen stehen nicht für Sympathiewerte, sondern für Interesse. Wenn die Leute etwas interessiert, wenn sie mehr zu einer Person erfahren wollen, googeln sie. Um die drei Herren ging es dabei in Zeiten der Hochwasserkrise weniger.

Zu möglichen Auswirkungen dieser Katastrophe auf die Wahl ist schon einiges geschrieben worden. Hier soll es darum gehen: Was könnte stimmungsmäßig vor sich gehen? Begriffe wie Anteilnahme und Zusammenhalt sind für die Antwort wichtig, aber genauso unzureichend wie Anerkennung für das Krisenmanagement und die Ankündigung der Regierungsspitze, den Katastrophenfonds in den kommenden Jahren von über 600 Millionen auf eine Milliarde Euro aufzustocken.

Nicht nur, weil das mit dem Katastrophenfonds so eine Sache ist: Das ist eine Art Versicherung. Einkommen- und Körperschaftsteuerpflichtige zahlen ein, was nicht gebraucht wird fließt ins Budget. Seit 2010 waren das kumuliert – wie hier berichtet – 800 Millionen Euro, davon 185 allein im vergangenen Jahr. Was jetzt passiert, ist also nicht, dass Karl Nehammer und Werner Kogler mehr Geld zur Verfügung stellen, sondern dass ein größerer Teil dessen, was von Steuerzahlern kommt, für Katastrophenhilfe aufgewendet wird. Das ist von der Darstellung her ein großer Unterschied.

Es ist selbstverständlich, Menschen zu helfen, die zum Beispiel im Tullnerfeld vor dem Nichts stehen. Man darf aber nicht vergessen, dass es hier grundsätzlich um eine Wiederholung geht: 2013 und viel mehr noch 2002 hat man besonders in Niederösterreich schon einmal Menschen geholfen, die vor dem Nichts gestanden sind. Das macht man natürlich so oft wie es nötig ist.

Was aber muss in den Betroffenen, aber auch in der Gesellschaft in ihrem weiteren Umfeld vor sich gehen? Vielleicht, dass sie zu oft Empfänger von Hilfe sein müssen. Jedenfalls aber, dass der Staat versagt. Er versagt nicht nur in der Klimapolitik; darüber würden eventuell viele noch hinwegschauen. Er versagt vor allem in der Hochwasserschutzpolitik.

Wenn man alle zehn, zwölf Jahre mit dem Schlimmsten rechnen muss, tagelang zittern muss, getroffen wird, wenn man Pech hat oder verschont bleibt, wenn man Glück hat, dann vergisst man das nicht. Dann wird das immer schwerer zu ertragen, dann wird die Wut auf jene immer größer, die sagen, dass jetzt aber wirklich ausreichend Hochwasserschutzbau betrieben worden sei, dass sie jetzt aber wirklich sicher seien.

Im Live-Ticker des ORF lief am Montagabend um 21.11 Uhr die Nachricht, dass eine Schutzvorrichtung in Haunoldstein übergelaufen sei. Sie sei für ein 100-jährliches Ereignis ausgelegt gewesen, aber „innerhalb einer halben Stunde überflutet“ gewesen. Zitat Bürgermeister Hubert Luger (ÖVP): „Die Leute haben Angst, viele sagen, sie ziehen weg. Die Stimmung im Ort ist dahin.“

These: Die Leute unterscheiden. Die meisten wissen, dass der Klimawandel eine erhebliche Rolle spielt bei diesen Fundamentalereignissen. Ihnen ist klar, dass der Bundeskanzler oder die Landeshauptfrau nicht unmittelbar Einfluss nehmen können. Es mag sie befremden, ja empören, dass beide die Klimakrise immer wieder relativieren. Am schwersten wiegt jedoch, dass sie immer wieder so tun, als könne man alles wieder aufbauen und Schutzbauten errichten, die dann ausreichen; dass es dann doch immer wieder alles zusammenhaut oder man Angst haben muss, dass es das tut. Wobei die Angst das Schlimmste sei, wie Betroffene berichten.

Hier geht es um etwas, was sich wie ein roter Faden seit Corona dahinzieht. Der Staat kann sichtbar nicht mehr das gewährleisten, was er seit ein paar Generationen vorgibt, gewährleisten zu können und woran man sich gewöhnt hat: Sehr weitreichend eine Art sorgenfreies Leben. Zu Beginn der Pandemie, in der Teuerung, im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg oder jetzt auch beim x-ten Hochwasser wird das deutlich. Regierende wollen das jedoch nicht wahrhaben. Sie tun zu oft noch so, als könnten sie letzten Endes doch wieder alles regeln oder Probleme zumindest verdrängen bzw. in Luft auflösen, übersehen jedoch, dass ihre Vertrauenswerte im Keller sind. Die Leute wissen schließlich, was läuft.

Es ist mit ein Grund dafür, dass Herbert Kickl so erfolgreich sein kann. Er sagt seinen Anhängern seit zwei, drei Jahren, dass sie denen da oben vollkommen egal seien. Ja, ja, jetzt würden sie wieder eine „Koste es, was es wolle“-Politik betreiben und zur Hilfe eilen. Morgen sei das aber wieder vergessen. Und überhaupt: Es gebe keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung, man müsse sich darum bemühen wie ein Bittsteller. So weit sei es gekommen.

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