Abgemeldet

-

ANALYSE. Die katholische Kirche überlässt den öffentlichen Diskurs den Rechten. Das stärkt diese. Schlimmer: Es macht es ihnen leichter, Religionsfragen für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen.

Man könnte glauben, für den Vatikan sei der 80. Geburtstag von Kardinal Christoph Schönborn überraschend gekommen: Papst Franziskus hat sein Rücktrittsgesuch aus diesem Anlass (nach fünf Jahren!) angenommen, aber keinen Nachfolger bestimmt. Damit es nicht gar keine Führung gibt, wird es vorerst daher nur einen Apostolischen Administrator geben in der Erzdiözese Wien. Bischofsvikar Josef Grünwidl wird das sein. Er soll die Dinge am Laufen halten, bis ein Erzbischof bestellt ist. Akzente setzen, geschweige denn laut sein, ist ausdrücklich nicht seine Aufgabe.

Warum das relevant erscheint für einen politischen Blog? Die katholische Kirche verliert umfassend an Bedeutung und leistet sich in diesem Bereich jetzt auch noch eine Auszeit. Ob man diesen Bedeutungsverlust nun kritisch sieht oder begrüßt – der Punkt ist, dass stattdessen bei weitem nicht nur eine aufgeklärte, selbstbestimmte Gesellschaft wächst. Es ist vielmehr so, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte ein Vakuum vorfinden und versuchen, den Leuten einzureden, wie sie zu leben hätten und was normal sei. Ja, dass sie sich anmaßen, gewissermaßen für die Kirche bzw. anstelle der Kirche zu reden. Und zwar mit Erfolg. Siehe FPÖ-Wahlergebnisse.

Man sollte nicht verschweigen, dass Kardinal Schönborn jüngst eine politische Predigt gehalten hat; dass er auf seine eigene Geschichte als Flüchtlingskind verwies und betonte: „Ein Herz für Flüchtlinge zu haben, gehört zur Menschlichkeit. Es kann auch unser Schicksal werden.“ Außerdem erklärte er: „Mitgefühl ist das, was erst eine Gesellschaft menschlich macht. Unbarmherzigkeit vergiftet die Gesellschaft und uns selbst.“ Und abschließend bekräftigte er: „Mein größter Wunsch: Das gegenseitige Wohlwollen soll nie verloren gehen, auch wenn wir Konflikte haben.“

Das ist nicht nichts. Es ist relevant für eine humane, demokratische Gesellschaft. Es ist indirekt eine Absage an das, was Herbert Kickl betreibt, wenn er von einem Asylstopp redet oder Andersdenkende einfach nur als Volksverräter ablehnt. Ist es jedoch deutlich genug? Für eine Masse ist es das nicht, nützt die Kirche ihre noch immer vorhandenen Möglichkeiten nicht, ständig zu betonen, worauf es ankommt. Was sein sollte und was nicht sein darf im Umgang mit anderen Menschen im Allgemeinen und den Schwächsten im Besonderen. Kickl sagt danke. So gehen ihm mehr Leute auf den Leim.

Schlimmer für die Kirche: Rechte bemächtigen sich schamlos ihrer Angelegenheiten und sie wirkt hilflos bei alledem. Türkise haben in ihrem Nationalratswahlprogramm angekündigt, „das Abhalten unserer (sic!) Fest- und Feiertage wie Nikolaus oder Weihnachten durch eine Festlegung im Schulunterrichtsgesetz“ abzusichern. Freiheitliche sehen die Notwendigkeit, „das Kreuz als Symbol unserer (sic!) christlich-abendländischen Geschichte und Kultur“ in den Klassenzimmern zu fixieren. Ebenso müsse „unser (sic!) traditionelles Brauchtum gelebt und weitergegeben werden, etwa durch Nikolausfeiern und Martiniumzüge im Kindergarten“.

Immerhin: Durch die Bezeichnung als „Brauchtum“ wird hier zum Ausdruck gebracht, dass es ausschließlich um Folklore geht. Im Übrigen ist es jedoch Teil eines Kulturkampfes, der darauf ausgerichtet ist, ein gegenseitiges Wohlwollen, von dem Schönborn gesprochen hat, zu zerstören.

dieSubstanz.at ist ausschließlich mit Ihrer Unterstützung möglich. Unterstützen Sie dieSubstanz.at gerade jetzt >

dieSubstanz.at – als Newsletter, regelmäßig, gratis

* erforderliche Angabe


Könnte Sie auch interessieren