ANALYSE. Die ÖVP versucht ein unpopuläres Thema vor der Nationalratswahl (zu) populär zu lösen. Eine echte Pflegeversicherung würde die Nettoeinkommen um eineinhalb Prozent reduzieren.
Man könnte meinen, die ÖVP wolle vor der Nationalratswahl eine Kurskorrektur vornehmen: Vor wenigen Monaten noch hat die Partei mit dem Hinweis darauf, dass es keine Belastungen geben dürfe, sogar eine Abschaffung des Dieselprivilegs abgelehnt. Jetzt spricht sie sich für die Einführung einer Pflegeversicherung aus, um letzten Endes jedoch vor sich selbst zurückzuschrecken: Diese Versicherung soll laut Bundesparteiobmann Sebastian Kurz niemandem weh tun; die Mittel sollen durch Umschichtungen in der Unfallversicherung zusammenkommen.
Der Haken daran: Das Gesamtbudget der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) beläuft sich auf eineinhalb Milliarden Euro. Und für die Pflege wäre viel mehr nötig. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat’s 2015 in einer eigenen Studie durchgerechnet. Die Expertinnen und Experten sind schon damals davon ausgegangen, dass vier Milliarden Euro erforderlich wären.
Das ist nicht nichts. Es entspricht etwa dem Volumen einer größeren Steuerreform. Würde man diesen Betrag wirklich über eine Pflegeversicherung zusammenbringen wollen, müsste man die Netto-Einkommen um durchschnittlich 1,59 Prozent bzw. 343 Euro im Jahr reduzieren. Wobei die Einbußen nach Einkommensdezilen sehr unterschiedlich wären und von 0,8 Prozent bzw. 15 Euro im untersten Zehntel bis 1,28 Prozent bzw. 719 Euro im obersten Zehntel reichen würden.
Die Pflegefinanzierung ist schon lange eine offene Baustelle der österreichischen Politik. Neben einer Versicherungslösung wäre naturgemäß die Fortsetzung der Bedeckung aus Steuermitteln oder natürlich auch eine Mischform möglich, wie sie Kurz und Co. letzten Endes vorschwebt. Allerdings müssten auch hier zusätzliche Spielräume erarbeitet werden; der Pflegeaufwand steigt schließlich.
Die SPÖ hat ursprünglich die Einführung einer Vermögenssteuer zur Pflegefinanzierung gefordert. Zu Jahresbeginn handelte sich Parteichefin Pamela Rendi-Wagner Kritik aus den eigenen Reihen ein, nachdem sie erklärt hatte, dass nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Steuerdebatte sei. Grund: An der Seite der FPÖ war die ÖVP damals noch ausschließlich auf Entlastungen fokussiert.