Verteilungskonflikte vorprogrammiert

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ANALYSE. Nachträglich erhält die (Fast-)Abschaffung der kalten Progression eine zusätzliche Rechtfertigung. Zugleich tut sich jedoch ein größeres Problem auf.

Die kalte Progression setzt nicht so sehr Beziehern kleiner(er) Einkommen zu als Beziehern mittlerer und größerer Einkommen. Insofern hat man sich vor dem Sommer durchaus die Frage stellen können, ob ihre Abschaffung eine vernünftige Antwort auf die Teuerung ist. Mittlerweile hat sich das jedoch relativiert: Seit die Inflation auf fast neun Prozent geklettert ist, hat eine große Masse zu kämpfen. Ein schlechtes Gewissen scheint in Regierungskreisen jedoch geblieben zu sein: Für alle soll die kalte Progression quasi nur zu zwei Drittel gestrichen werden. Damit bleibt Beziehern größerer Einkommen ein Verlust. Dieser Verlust soll zur Umverteilung verwendet werden, also Beziehern kleiner(er) Einkommen zugutekommen.

Das Stichwort Umverteilung erfährt einen Bedeutungsschub. Man kann davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren vermehrt darüber diskutiert wird; zumal Konflikte drohen.

Problem 1: Das österreichische Steuersystem stützt sich (aufkommensmäßig) zu gut einem Drittel auf Einkommensbesteuerung. Nicht nur mit einem Spitzensteuersatz von 55 Prozent schien die Umverteilung über diese Schiene schon bisher ausgereizt zu sein: Einer Masse wird im Rahmen dieser Besteuerung nichts abgezogen. Bei den obersten fünf Prozent der Einkommensbezieher hingegen so viel, dass sie 43 Prozent des gesamten Lohn- und Einkommensteueraufkommens tragen.

Problem 2: Diese extremen Verhältnisse müssten nicht sein, wenn man zum Beispiel auch Vermögen stärker in die Besteuerung einbeziehen würde, was Länder wie die Schweiz und die USA schaffen, nicht aber Österreich. Hier wird zwar gerne von „Werten“ wie „Leistung“ geredet, ein Steuersystem, das so sehr auf Einkommen abstellt, die in der Regel auf Leistung beruhen, ist aber eher leistungsfeindlich. Doch das ist ein anderes Thema. Der Punkt ist, dass die Verhältnisse politisch ganz offensichtlich so gewünscht sind und daher wohl so bleiben werden.

Problem 3: Von jeder Preissteigerung profitiert der Staat durch Konsumsteuern, insbesondere also die Umsatzsteuer. Das verschärft ganz besonders die Sorgen und Nöte der Menschen, die wenig Geld haben – es vergrößert aber auch die Notwendigkeit für den Staat, ihnen zu helfen.

Problem 4: Es ist hier notwendig, die kalte Progression noch einmal zu thematisieren: Der Staat braucht in den kommenden Jahren sehr viel mehr Geld, als ihm die (aufkommensmäßig) steigende Umsatzsteuer bringt. Er will schließlich Pensionen wertsichern, eine Strompreisbremse schaffen etc. Bisher hätte ihm die schleichende Steuererhöhung (= kalte Progression) geholfen, das zu bewältigen. Im Wesentlichen fällt sie nun jedoch weg. Jetzt wird alles viel schwieriger.

Problem 5: Das ist kein Plädoyer für eine Beibehaltung der kalten Progression. Das Ganze soll nur verdeutlichen, wohin der Verzicht auf Systemreformen in der Vergangenheit führt. Bleibt es bei diesem Verzicht, wird am Ende jemandem sehr viel weggenommen werden müssen: „Kleineren“ Sozialleistungen im weitesten Sinne oder „Größeren“ mehr Einkommen; oder beides.

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