Versprochen, gebrochen, angegangen

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ANALYSE. Der Finanzminister prüft, die kalte Progression nun doch abzuschaffen. Zu groß ist die Teuerung. Probleme, die mit dieser einhergehen, werden damit jedoch nur zum Teil gelöst.

Die kalte Progression bringt eine gewisse Unverschämtheit zum Ausdruck: Selbst Einkommenszuwächse, „die bloß dem Ausgleich der Geldentwertung dienen“, werden „wie eine reale Erhöhung der Einkommen besteuert“ (Zitate sind einer schönen Definition entnommen, die in dieser WU-Studie enthalten ist). De facto führt das dazu, dass Betroffene einen Verlust erleiden.

Andererseits gibt es Argumente für die kalte Progression: Die zusätzlichen Einnahmen verschaffen dem Staat einen Gestaltungsspielraum, den er von Zeit zu Zeit nützen kann, um Entlastungen vorzunehmen. Das klingt interessant, ignoriert jedoch, worum es der Politik bei Steuer-„Reformen“ geht: Sich bei möglichst vielen Menschen beliebt machen.

Sebastian Kurz hat den Spieß einst umgedreht: Zur Nationalratswahl 2017 präsentierte er ein Programm, das ihn laut „Kurier“ ausgemacht haben soll. Inhalt: Abschaffung der kalten Progression. Kaum hatte Kurz die nötigen Stimmen für eine Kanzlerschaft jedoch erreicht, vergaß er darauf. Genauer: Er meinte, dass eine Abschaffung insofern ungerecht wäre, als Spitzenverdiener eher davon profitieren würden. Vor der Wahl 2019 sprach er sich in einer ORF-Spitzenkandidaten-Runde – wie Werner Kogler (Grüne), Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Norbert Hofer (FPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) – trotzdem wieder ausdrücklich für die Abschaffung aus. Längere Zeit nach dem Urnengang übernahm der heutige Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) die Bedenken, die er zwischendurch dagegen vorgeschoben hatte: Die Abschaffung nütze „eher den Besserverdienenden“, erklärte der Vorarlberger in einer Nationalratssitzung, „das ist auch klar, das ist Fakt.“

„Nützt“ sie wirklich eher Besserverdienenden? Die Frage geht an der eingangs erwähnten Problematik vorbei: Durch die kalte Progression produziert der Staat Reallohnkürzungen. Bei Besserverdienenden sind sie größer. Eine Kürzung zu eliminieren könnte genauso gut als Beseitigung eines Unrechts bezeichnet werden. Das hat nichts mit „Nützen“ zu tun.

Doch weiter: Jetzt lässt der Finanzminister die Abschaffung der kalten Progression prüfen. Die Teuerung ist zu stark geworden. Eine IHS-Studie verdeutlicht, wie sie „die größte Entlastung der 2. Republik“ (Gernot Blümel) fast so schnell wegschmelzen lässt wie die Frühjahrssonne den Schnee in den Bergen.

Die Studie enthielt noch die erfreuliche Botschaft für die Regierung, dass unter Zugrundelegung der erwarteten Inflation trotz kalter Progression bis 2025 eine Entlastung von insgesamt zehn Milliarden Euro bleiben werde. Selbst bei einer um einen halben Prozentpunkt größeren Inflationsrate über den gesamten Zeitraum würde es sich um 7,4 Milliarden Euro handeln. Allein: Zumindest heuer wird die Inflationsrate nicht um einen halben, sondern um rund drei Prozentpunkte höher ausfallen als in dieser Studie angenommen. Sie wird nicht 2,8, sondern voraussichtlich knapp sechs Prozent betragen. Da löst sich die Entlastung schneller auf als man schauen kann.

Die Steuerreform verpufft, die Regierung muss nachlegen. Durch die Streichung der kalten Progression soll die Wirkung der Teuerung gewissermaßen entschärft werden. Gelöst werden würde das Teuerungsproblem damit aber nicht. Es ist ein umfassenderes Problem, es betrifft auch Haushalte ohne Einkommen etc.

Und überhaupt: Unterschiedliche Haushalte haben unterschiedliche Warenkörbe mit unterschiedlichen Preisentwicklungen. In der eingangs erwähnten WU-Studie wurde für einen mehrjährigen Zeitraum in der Vergangenheit etwa eine Inflationsrate von zwölf Prozent ermittelt. Das war jedoch nur der Durchschnittswert. Beim „untersten Zehntel“ der Haushalte belief sich die Teuerung auf 13,9 und beim obersten auf 11,2 Prozent. Das sollte man beachten. Unter Abschaffung der kalten Progression wird in der Regel nämlich verstanden, die Steuertarifzonen mit der durchschnittlichen Inflationsrate anzupassen.

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