ZAHLEN ZUM TAG. Wachsender Steuerausfall: Bund tut als sei nichts. Ländervertreter geben sich überrascht.
Die bloße Abschaffung der kalten Progression ist noch keine Strukturreform. Es handelt es sich nur um den einfachen Teil eines Ganzen. Dazu gehören würden auch Strukturreformen, die es dem Staat ermöglich, mit geringeren Einnahmenzuwächsen zurechtzukommen. Problem: Ebensolche sind bisher ausgeblieben.
Jetzt geben sich manche überrascht: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) meint im ORF-Wien-Sommergespräch, sein Bundesland habe eine Milliarde Euro weniger pro Jahr. Und im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen zeichne sich keine Kompensation ab.
Über die Summe, die Ludwig nennt, kann man sich wundern. Sie wird wohl nicht einmal in den kommenden Jahren erreicht werden. Für 2024 sind gesamtstaatlich weniger hohe Steuereinnahmen von knapp 3,7 Milliarden Euro zu erwarten. Das hat das Institut für Höhere Studien gerade berichtet. Auf Länder und Gemeinden entfallen etwas mehr als 1,2 Milliarden Euro davon. 2025 werden es 1,9 Milliarden Euro sein. Auf Wien, das zugleich Stadt und Land ist, entfällt wiederum nur ein Teil davon.
Ludwig verlangt nun vom Bund, den Einnahmenentfall zu kompensieren. Wie soll er das jedoch bewerkstelligen? Auch dem Bund selbst macht ein erheblicher Entfall zu schaffen, zumal er – unter Verantwortung von Bundeskanzler Karl Nehammer und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bzw. den Grünen (als Koalitionspartner) – bisher keine Sparmaßnahmen gesetzt hat, die den schon lange absehbaren Entwicklungen gerecht werden würden.
Die Abschaffung der kalten Progression wurde 2022 im Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP-, FPÖ-, Grünen- und Neos-Abgeordneten beschlossen. Sozialdemokraten votierten dagegen. Sie begründeten dies mit der Verteilungswirkung, wurde die Maßnahme doch als Anti-Teuerungsmaßnahme dargestellt. Grundsätzlich sprachen sich aber auch Sozialdemokraten immer wieder für eine Abschaffung aus. So etwa die damalige Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner im Nationalratswahlkampf 2019.