ANALYSE. Steuerentlastung ist gut. Begleitende Sparmaßnahmen wären ehrlich.
Nicht, dass eine Steuerentlastung schlecht ist; im Gegenteil. Verhängnisvoll dabei ist im konkreten Fall jedoch dies: Eine gefühlte Mehrheit geht davon aus, dass sie vom Staat nur geschröpft wird. Sie übersieht, dass es sich um Steuern und Beiträge handelt, die bei aller (unnötigen) Bürokratie und (ebensolchen) Doppelgleisigkeiten zum größten Teil für Pensionen, die Gesundheitsversorgung, Schulen etc. aufgewendet werden, die ja auch in ihrem Interesse sind. Und weil das so ist, geht die Regierungsstrategie wohl auch auf: Erstens, die Entlastungen kommen gut an. Und zweitens, der Beipackzettel ist vorerst nicht einmal am Rande ein Thema.
Gut drei Viertel der Haushalte zahlen schon heute weniger ins System ein als sie herausbekommen.
Ja, man sollte in aller Klarheit von einem Crashkurs reden: Nicht nur Menschen, die Leistungsbewusstsein und -fähigkeit sei Dank mit einem schlanken Staat leben könn(t)en, fordern einen solchen. Sondern auch viele, denen nicht bewusst ist, dass sie von einem starken abhängig sind. Zur Erinnerung: Laut Budgetdienst des Parlaments sind gut drei Viertel der Haushalte sogenannte Nettoempfänger. Sie zahlen schon heute weniger ins System ein als sie herausbekommen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Hier geht es nicht um ein Plädoyer für einen starken oder schlanken Staat, sondern darum, festzustellen, dass es nun auf einen weniger starken hinausläuft, ohne dass eine nötige Bewusstseinsbildung dazu stattgefunden hat.
Hätte es eine solche Bewusstseinsbildung gegeben, würde die Regierung unter viel größerem Druck stehen:
- Sie müsste klären, wie die Krankenversicherungen mit 0,9 Milliarden Euro weniger Beitragseinnahmen pro Jahr über die Runde kommen sollen. Erst recht, nachdem die eingeleitete Zusammenlegung der Träger – laut Rechnungshof etc. – sicher nicht die eine Milliarde Euro an Einsparungen bis 2023 bringen wird, die Kanzler und Vize angekündigt haben. Ja, ein hemdsärmeliges Loch auf, Loch zu, wonach die fehlenden Mittel halt aus dem Budget (= Steuergeld) kommen sollen, würde nicht durchgehen.
- Die Regierung müsste spätestens jetzt, wo sie die Entlastung konkretisiert hat, eine Pflegelösung auf den Tisch legen: Wenn der Staat gemessen am BIP in Zukunft weniger Steuern und Beiträge einnehmen wird, wie sollen die gemessen am BIP steigenden Pflegekosten dann finanziert werden? Ähnliches gilt für die Pensionen, für die weitere Reformen von ÖVP und FPÖ sogar ausgeschlossen worden sind.
- Oder die bereits erwähnte Bürokratie und die Doppelgleisigkeiten: Wo bleibt die Bund-Länder-Gemeinden-Reform, die zu einem Abbau führt?
Die Mindestsicherungsreform bringt einen zweistelligen Millionenbeitrag. Das ist noch nicht einmal ein Anfang.
Politik handelt also wirklich erst dann unpopulär, wenn es nicht mehr anders geht. Insofern überlässt diese Regierung notwendige Einschnitte und Strukturreformen nachfolgenden Regierungen. Wobei das Originelle ist: Gut möglich, dass sie selbst das sein wird. Immerhin hat sie die Abschaffung der kalten Progression auf die nächste Legislaturperiode vertagt. Was sich insofern rächen wird, als sie halt dann beginnen muss, fortlaufend so stark zu sparen, dass es sich mit den geringeren Lohnsteuereinnahmen, die damit einhergehen, ausgeht. Wobei wir von keiner Bagatelle reden: Laut Agenda Austria handelt es sich allein in der laufenden Legislaturperiode um insgesamt achteinhalb Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Mindestsicherungsreform wird einen zweistelligen Millionenbeitrag bringen, wie den Angaben des Sozialministeriums zu entnehmen ist. Sprich: Das ist noch nicht einmal ein Anfang gewesen.