KOMMENTAR. Österreich beschränkt sich in der Krise auf nationale Rücksichtslosigkeiten. Für die europäische Integration im Allgemeinen und Italien im Besonderen ist das eine Katastrophe.
Wenn’s so weiter geht, folgt auf eine Generation, die in den 2000ern ohne Grenzen in Europa aufgewachsen ist, eine jüngere, die sich das gar nicht mehr vorstellen kann: Seit 2015 wird da und dort wieder verstärkt kontrolliert und 2020 fuhr sogar das Bundesheer auf, um die Übergänge wirklich ganz dicht zu machen.
Gut, könnte man jetzt einwenden, das Eine wie das Andere war eine Ausnahmesituation. Andererseits: Rechtspopulisten sorgen dafür, dass sie eher dauerhaft bleibt. So lässt die österreichische Bundesregierung Mitte Mai wissen, dass es „derzeit keine Perspektive“ für eine Öffnung der Grenzen zu Italien gebe. Keine Perspektive!
Der Versuch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, vielleicht doch wieder ein bisschen Besonnenheit einzuführen, ist damit von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinem Vertrauten, Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), durchkreuzt worden. „Italien liegt ned irgendwo am Mond“, hatte das Staatsoberhaupt in einer Fernsehansprache didaktisch klug erklärt: Man müsse bedenken, dass Österreichs südlicher Nachbar der zweitgrößte Handelspartner der heimischen Wirtschaft sei. Wer Italien hilft, helfe damit auch Österreich. Hier gelte es auch, auf Kritik einzugehen, wie „Der Standard“ zusammenfasste: „Auf europäischer Ebene haben wir schwerwiegende Koordinationsprobleme, vor allem am Anfang wurden viele Fehler gemacht.“ Nun müsse man mit- und füreinenander die Krise überwinden.
Aber wie gesagt: Keine Perspektive für Italien, keine Perspektive für Europa. Das ist auch insofern bemerkenswert, als zumindest die Tiroler Volkspartei in Sonntagsreden immer wieder von einer Europaregion spricht, deren Vorsitzender im Moment sogar Landeshauptmann Günter Platter wäre: Sie umfasst neben Tirol Südtirol und Trentino. In Südtirol hat sich die Pandemie in den letzten Tagen und Wochen entschärft. LH Arno Kompatscher, ein Christdemokrat, würde also gerne wieder den Tourismus hochfahren, wie man so sagt. Allein: Österreich, aber auch Tirol, tun alles, damit er das vergessen kann.
Das ist auch von daher seltsam: In Südtirol gibt es bisher zwar viel mehr Covid-19-Todesfälle als in Tirol (55 bzw. 14 pro 100.000 Einwohner), aber ähnlich viele bestätigte Infektionen (487 bzw. 466). Mittlerweile sind die meisten Erkrankten im Übrigen wieder gesund und es kommen eben kaum noch neue dazu.
Aber Österreich bleibt hart und betreibt eine Doppelspiel: Gegenüber Bayern drückt man beide Augen zu. Gleich über der Grenze gibt es dort beispielsweise den Landkreis Rosenheim mit bisher nicht nur insgesamt 851 (!) bestätigten Infektionen pro 100.000 Einwohner, sondern auch noch immer relativ großen Zuwachsraten: Mit 41 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner liegt man für die vergangenen sieben Tage nur knapp unter dem deutschen Grenzwert von 50, ab dem Lockerungen wieder zurückgenommen werden. Soll heißen: Hier wäre extrem große Sorge angebracht, um es mit den Worten von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zu sagen.
Warum er und seinesgleichen schweigen? Den wahren Grund werden sie kaum verraten. Spekulieren wir also, dass der Hintergrund folgender ist: Wir müssen den nationalen Tourismus retten. Und dazu brauchen wir Gäste aus Deutschland. Andererseits müssen wir verhindern, dass sie, aber auch Österreicher, in ihr Lieblingsland Italien ausweichen.
Kurzfristig wäre das ein (verwerfliches, vielleicht aber) nachvollziehbares Motiv. Langfristig muss man jedoch an Van der Bellen erinnern: Wenn Italien den Bach runter geht, werden wir „angesteckt“, bekommt also auch Österreich größere Probleme, zumal das einer unserer wichtigsten Wirtschaftspartner ist.
Und überhaupt: Europäisch ist das Ganze nicht. Im Gegenteil. Schlimmer noch: Verschärft wird das Drama nun auch noch durch das rot-weiß-rote Veto gegen den deutsch-französischen Plan, ein Wiederaufbaupaket von 500 Milliarden Euro zu schnüren, das vor allem Katastrophenländer wie Italien retten könnte. Sebastian Kurz will nicht einmal darüber reden, er betreibt vielmehr Öffentlichkeitsarbeit und kündigt einen Gegenentwurf mit ein paar „sparsamen“ Staaten an. „Kredite statt Zuschüsse“, lautet das Motto. Bravo: Mit Ländern, die ohnehin schon extrem verschuldet sind, sollen jetzt auch noch Finanzgeschäfte gemacht werden. Das kann nicht gut ausgehen.
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