ANALYSE. Die FPÖ stellt den Ukraine-Krieg in den Mittelpunkt ihrer EU-Wahl-Kampagne. Sie kann dabei auf ein diffuses Neutralitätsverständnis setzen – und über ihre Beiträge dazu hinwegtäuschen.
Die FPÖ dreht den Spieß um: Aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine macht sie europäische „Kriegstreiberei“. Zwischen einem Panzer und Hubschraubern sind im Zentrum ihres ersten Europawahl-Plakates der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sowie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu sehen. Sie scheinen einander zu küssen.
Bei den Freiheitlichen geht man offenbar davon aus, dass das ein zentrales Thema und ihre Darstellung dazu wirkungsvoll ist. Tatsächlich könnte es nicht nur einer verbreiteten Sehnsucht nach Frieden gerecht werden, sondern auch einem diffusen Neutralitätsverständnis. Parteichef Herbert Kickl erwähnt gerne, dass man hier auf einer Linie mit dem Papst sei: „Hört auf zu töten“, lautet die gemeinsame Botschaft sinngemäß, „eröffnet Friedensverhandlungen!“
Wesentlicher ist jedoch dieser Verweis auf die Neutralität. Er setzt auf das, was man gemeinhin darunter versteht: Keinen militärischen Bündnissen beitreten und keine militärischen Stützpunkte auf dem eigenen Gebiet zulassen. Allgemeiner: Bei Konflikten nicht Partei ergreifen. Sich ganz raushalten. Hintergedanke: Dann wird einem schon nichts passieren.
Was damit einhergeht, kann man schwer überschätzen: Dass man bei der Finanzierung militärischer Hilfe für die Ukraine eine „konstruktive Enthaltung“ pflege und dass man in diesem Krieg politisch nicht neutral sein könne, wie Grüne und Türkise in ihren EU-Wahlprogrammen schreiben, kann ein erheblicher Teil der Menschen nicht verstehen; es wirkt für sie wie ein Widerspruch zur Neutralität, die von den beiden, aber auch der SPÖ, „trotzdem“ betont wird.
Diese Parteien haben bald zweieinhalb Jahre seit Beginn des russischen Angriffskriegs ungenützt gelassen, um eine breite Auseinandersetzung zu forcieren. Jetzt profitiert die FPÖ davon.
Würde es ein ernstzunehmendes Neutralitätsverständnis geben, hätte die FPÖ kein so leichtes Spiel. Sie müsste erklären, wie sie sich das mit Friedensverhandlungen im Beisein von Wladimir Putin, dem Aggressor, vorstellt. Wie man diesen dafür gewinnen könnte. Was die Ukraine alles aufgeben sollte. Und so weiter und so fort.
Sie müsste im Übrigen korrigieren, was sie selbst über Jahrzehnte schuldig geblieben ist und gerade jetzt, in unsicheren Zeiten, mehr denn je liefern müsste: Vorstellung zur Gewährleistung der österreichischen Verteidigungspflicht. Diese ist Teil des Neutralitätsgesetzes, in dem es gleich im ersten Absatz heißt, dass Österreich die Neutralität „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen“ müsse.
Herbert Klickl und Harald Vilimsky ahnen, dass das unpopulär ist. Das macht nichts besser, ist aber ein Punkt, der einiges erklärt. Laut „Austrian Foreign Policy Panel Project“ der Uni Innsbruck wäre nur gut ein Viertel der österreichischen Männer bereit, zur Verteidigung des Landes zur Waffe zu greifen. Insgesamt findet im Übrigen nur knapp die Hälfte der Menschen, dass Österreich im Falle eines Angriffs Widerstand leisten sollte – obwohl das eben Pflicht im Sinne der Neutralität wäre.