ANALYSE. Nur eine Minderheit empfindet die EU-Mitgliedschaft als gute Sache. Kein Wunder. Politiker machen Stimmung gegen Brüssel, jetzt etwa Finanzminister Blümel.
Es ist eine kleine, aber bezeichnende Episode, die hier von Günther Schröder in der Tageszeitung „Österreich“ erwähnt wird: Sebastian-Kurz-Familienmitglied und ÖBAG-Chef Thomas Schmid habe als damaliger Spitzenmann im Finanzministerium den Auftrag erteilt, die Zeche für eine „wilde“ Mitarbeiterparty in einem Wiener Lokal „auf das EU-Budget“ zu schreiben.
Die Europäische Union ist zum Abputzen da. Das ist nicht ganz neu und nicht immer nur von Freiheitlichen betrieben worden; Regierungsvertreterinnen haben es aber noch nie so exzessiv gemacht wie heute.
Man sollte sich nicht wundern, wenn Österreich eines Tages eine ernstzunehmende Austrittsbewegung hat. Die Stimmung dafür ist grundsätzlich vorhanden. Gerade einmal 41 Prozent der Menschen empfinden die Mitgliedschaft laut Eurobarometer-Befragung als „eine gute Sache“. Europaweit tun das fast zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger. Hierzulande ist es eine Minderheit.
Die Stimmungsmache läuft bisweilen durchaus subtil: „Wir werden uns jetzt jeden Euro zurückholen, der uns zusteht“, sagt Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), nachdem die Regierung ihre Projektvorschläge für den europäischen Wiederaufbaufonds an die EU-Kommission übermittelt hat. Die Betonung liegt auf „Zurückholen“: Es geht nicht um gemeinsames, sondern um „unser Geld“. Klar: Wir sind Nettozahler. Diese Darstellung vermittelt jedoch bewusst den Eindruck, dass Österreich ganz selbstlos nur anderen Ländern zuliebe bei der Union sei, ohne etwas davon zu haben. Das ist natürlich Unsinn, trägt aber eben zur erwähnten Stimmung bei.
Gerade der Wiederaufbaufonds hätte sich dazu angeboten, einen europäischen Wettbewerb durchzuführen: Man hätte alle Menschen einladen können, Projektideen zu machen und so auch an einer besseren Zukunft für Europa mitzuarbeiten. Daraus geworden ist bekanntlich ein Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit: ÖVP und Grüne haben gemeinsam mit den Ländern ein Paket geschnürt und die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt; und das auch noch mit bekannten Vorhaben wie dem 1-2-3-Ticket. Jetzt soll halt EU-Geld dafür verwendet werden – ist ohnehin „unser Geld“, um es im Geiste von Blümel zu sagen. Oder mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher: „I want my money back!“
Dieser Ausschluss der Öffentlichkeit hat freilich auch mit Macht zu tun: Eine Einbindung von gewöhnlichen Menschen hätte dazu geführt, dass der Finanzminister, die Verkehrsministerin, Landeshauptleute und viele andere mehr ihre Wünsche kaum noch untergebracht hätten; das wollten sie sich nicht nehmen lassen.
Die EU ist zum Abputzen da: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat Impfstoffverteilung mit einem „Basar“ verglichen. Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, ein Vertreter einer älteren Volkspartei, hat das unter dem vielsagenden Titel „Basar in Brüssel oder Balkan in Österreich?“ in einem „Kommentar der anderen“ im „Standard“ aufgearbeitet. Er kommt zum Schluss, dass sich nicht nur Österreich von der EU entfernt, sondern auch ein Prozess in die umgekehrte Richtung im Gang ist: „In Brüssel wird Österreich nach wie vor als Land mit großem europapolitischem Potenzial gesehen, aber je öfter es dem nicht gerecht wird, umso mehr wird sich Brüssel von Österreich ab- und anderen Ländern zuwenden.“ Damit droht freilich eine selbsterfüllende Prophezeiung: „Wir“ können noch weniger durchsetzen, haben noch weniger von „der EU“ – glauben also, noch mehr gegen sie auftreten zu müssen.
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