ANALYSE. Die Regierung ist dabei, Kickl festlegen zu lassen, wie sich Österreich sicherheits- und verteidigungspolitisch ausrichten soll. Auch damit ist einer Art Orbanisierung Tür und Tor geöffnet.
Kaum hatte Sebastian Kurz, ein gar nicht so einfaches ÖVP-Mitglied, die sogenannte Friedensmission des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban beim russischen Präsidenten Wladimir Putin ausdrücklich begrüßt und festgestellt, dass es vorrangiges Ziel sein müsse, das Blutvergießen zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, zeigte Putin, wie verhandlungsbereit er ist: Er ließ ein Kinderspital in Kiew angreifen.
Das offizielle Österreich reagierte betroffen. Der Angriff sei auf das Schärfste zu verurteilen, betonte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf X (Twitter): „Er ist einer von vielen Belegen dafür, wie die Russische Föderation das Völkerrecht missachtet. Österreich wird die humanitäre Hilfe für die Ukraine selbstverständlich fortsetzen!“
Eh. Jeder Euro zählt: Seit Kriegsbeginn bzw. bis Ende April dieses Jahres hat die Republik laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft 0,12 Milliarden Euro an humanitärer Hilfe für die Ukraine geleistet. Es ist nicht nichts, aber traurig. Die finanzielle Hilfe darüber hinaus, die zu einer Gesamtsumme von 0,83 Milliarden Euro führt, macht die Sache nicht viel besser: Im Vergleichszeitraum flossen aus Österreich insbesondere für Gaslieferungen 12,52 Milliarden Euro in die Kriegskasse von Putin. Das muss man sich einmal vorstellen: Es entspricht rund 180 Euro pro Sekunde. Man hat damit leben gelernt.
Genauso wie mit dem schwindligen Umgang mit Spionage. Von einer riesigen Affäre war die Rede – und dann darf der Mann, der verdächtigt wird, für Russland gearbeitet zu haben, wieder spazieren gehen.
Nicht einmal das Notwendigste geschieht: Es gibt noch immer ein westliches Land auf dieser Welt, das Russland in seiner geltenden Sicherheitsstrategie als strategischen Partner bezeichnet. Es ist Österreich. Die Regierung bleibt eine Überarbeitung dieser überholten Strategie trotz aller Not schuldig. Das Thema ist ihr zu heikel. Gerade vor der Wahl: Es würde zwar nicht darum gehen, die Neutralität aufzugeben, aber Herbert Kickl würde es behaupten. Was gegen Putin ist, ist für ihn unzulässige Parteinahme, ja Kriegstreiberei.
Beim 75-Jahr-Jubiläum der NATO ist Österreich nicht dabei. Im Unterschied zur Schweiz, die die Einladung angenommen hat. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) will keine Zeit und auch keine Möglichkeit gehabt haben, einen Vertreter zu entsenden. In Wirklichkeit gilt auch hier: Kickl hätte von einer unzulässigen Annäherung an das Verteidigungsbündnis gesprochen. Davor hat man Angst.
Die Folge: Bei allen Pflöcken, die aus Angst vor Kickl jetzt nicht eingeschlagen werden, muss man damit rechnen, dass sie unter einem möglichen Kanzler Kickl eingeschlagen werden. In einem ganz anderen Sinne halt.
Das gilt insbesondere für die Sicherheitsstrategie. Wenn eine solche noch fixiert worden wäre, hätte Kickl nicht ganz einfach eine neue festlegen können. So aber muss er es tun. Die bestehende stammt ja aus einer anderen Zeit.
Beim Chef einer Partei, die mit Putins „Bewegung“ schon einmal einen Freundschaftsvertrag eingegangen ist, sollte man vom Schlimmsten ausgehen: Nämlich von einer Zusammenarbeit mit Viktor Orban auch in solchen Fragen. Mit vorgegebenen Bemühungen um Frieden, die nichts anders als der Versuch sind, sich selbst zu inszenieren und Putin zufriedenzustellen.