KOMMENTAR. Ad. Bevölkerungsaustausch: Die Massenmigration, die Kurz meint, ist erstens nicht einseitig und zweitens nicht bestimmend.
Den Begriff „Bevölkerungsaustausch“ lehnt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ab. Unter anderem weil er inhaltlich falsch sei, wie er in der „ZiB 2“ erklärte. Laut Kurz gibt es keine Massenmigration von und nach Österreich, sondern eher nur aus gewissen Ländern und Regionen hierher. Das ist bemerkenswert: Auch das ist nämlich falsch. Was dem Kanzler den Vorwurf einträgt, nach rechtspolitischem Vorbild mit Ängsten zu arbeiten.
„Bevölkerungsaustausch“ gehöre nicht zu seinem Sprachgebrauch, so Kurz: Das sei ein Wort der Rechten und nicht der politischen Mitte, wo er sich selbst verortet. Das ist das eine. Das andere: Das Wort impliziere, dass es einen Austausch gebe. Und einen solchen gebe es nicht. Was wir erleben, ist laut Kurz eine Massenmigration nach Europa, und zwar aus Afrika und Ländern wie Syrien, Irak und Afghanistan. Quasi eher ein paar Hauptrouten mit Einbahnregelung also.
Ein Blick in die Wanderungsstatistik zeigt, dass das stark übertrieben ist, um es zunächst einmal vorsichtig auszudrücken: 2017 verzeichnete Österreich 154.749 Zuzüge und 110.119 Wegzüge. Sprich: Auf drei Personen, die zuwanderten, kamen zwei, die abwanderten.
2017 kamen 4950 Afrikaner nach Österreich, 4405 verließen es.
Diese Wanderungsbewegungen entfielen zum größten Teil auf Staatsangehörige anderer europäischer Länder und nicht auf die von Kurz genannten. Ja, bei diesen ist es sogar so, dass der Zu- eine größere Abwanderung gegenübersteht. Konkret: 2017 kamen 4950 Bürger eines afrikanischen Landes nach Österreich und immerhin 4405 verließen es. Ähnlich waren die Verhältnisse bei Afghanen (2103 kamen, 1954 gingen). Bei Irakern war es umgekehrt (1198 gingen, 839 kamen). Deutlich mehr Migration nach Österreich gab es lediglich bei syrischen Staatsbürgern; in ihrem Fall wanderten 6691 zu und 849 weg. Kein Wunder: Der Krieg in ihrer Heimat ist noch nicht aus.
Für 2018 liegen noch keine Daten vor. Die große Flüchtlingskrise ist jedoch vorbei und die gegenwärtige Regierung wird durch Grenzkontrollen und andere Maßnahmen dazu beigetragen haben, dass es zu keiner Trendumkehr gekommen ist.
Was den Kanzler trotzdem dazu bewegt, einen ganz anderen Eindruck zu vermitteln? Im „ZiB 2“-Interview sprach er es selbst an: Es herrscht wieder Wahlkampf. Und da spielt auch er mit Ängsten. Wobei er sich im konkreten Fall von der FPÖ eigentlich nur darin unterscheidet, dass er das Wort „Bevölkerungsaustausch“ nicht verwendet. Sprich: Wer gegen illegale Migration sei, könne Ende Mai die Volkspartei wählen, wie er selbst betonte.
Die Ängste sollten nicht ignoriert werden. Wahlergebnisse der Vergangenheit erwecken jedoch den Eindruck, dass sie dort am größten sind, wo es am wenigsten Migranten gibt. Dort hat zum Beispiel Norbert Hofer (FPÖ) bei den Bundespräsidentenwahlen am besten abgeschnitten. Dort gibt es ganz offensichtlich ein anderes Problem. Es sind Gegenden, die sie sich weniger gut entwickeln und in denen die sich verändernde Welt ein massiveres Unbehagen auslöst. Zugegeben, das sind jetzt nur Thesen. Nicht zuletzt verantwortungsvoller Politik würde es jedoch gut anstehen, sich intensiver damit zu beschäftigen als Öl ins Feuer zu gießen.
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