In der „Festung Österreich“ gefangen

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ANALYSE. Flüchtlingspolitik: Bundeskanzler und Innenminister mögen sich dem „Framing“ nicht mehr entziehen, dass Herbert Kickl geschaffen hat.

Wöchentlich betonen Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), dass Österreich einen Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ablehne, so lange der Außengrenzschutz nicht funktioniere. Behauptung: Zumindest bis zur Nationalratswahl wird er das nicht tun. Genauer: Werden die beiden sagen, dass er das nicht tue. Im Sinne Gerald Fleischmann’scher Schule haben sie ja keine nachvollziehbaren Kriterien vorgelegt, nach denen sich das beurteilen lässt. Zumal es ihnen nicht um die Sache geht. Es ist schlicht Politik, was die beiden betreiben.

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat im vergangenen Jahr einen brutal-wirkungsvollen Rahmen geschaffen, also ein „Framing“, das nicht wenigen Menschen einredet, worum es gehe. Fluchtbewegungen stellen demnach eine Bedrohung dar, wie sie von einer feindlichen Armee ausgeht. Österreich wird folglich als Festung dargestellt, die sich rüsten muss, mit Kickl als Kommandeur, der denn auch nicht zufällig eine militärisch anmutende Kleidung trägt.

Dass hätte selbst Sebastian Kurz ins Schwitzen gebracht, der einst ja so getan hat, als werde er sämtliche Fluchtbewegungen stoppen; und der nicht zuletzt damit den Freiheitlichen sehr viele Wähler abgenommen hat, die Kickl jetzt zurückholt, was Nehammer und Karner aber eben in eine solche Panik versetzt, dass sie versuchen, im Sinne eines Anscheins ebenfalls das zu betreiben, was als restriktive Flüchtlingspolitik bezeichnet wird.

In einem Ö1-Journal-Interview kündigte der Innenminister nun nicht nur an, Grenzkontrollen um weitere sechs Monate zu verlängern, er zeigte auch ein gewisses Verständnis für illegale Zurückweisungen an der kroatischen Grenze („Pushbacks“): Es gebe „Vorwürfe, die natürlich zu prüfen“ seien, das Ganze zeige aber, „wie schwierig es ist, diese Grenze zu schützen“.

Bezeichnend ist, dass diese Politik inklusive des Festungsbegriffs bemerkenswerte Veränderungen ausblendet. Weil sie schlicht nicht zur Erzählung passen. Beispiel: Das Innenministerium hat vor geraumer Zeit angefangen, die Asylstatistik um bunte Grafiken zu ergänzen, die verdeutlichen, dass es im vergangene Jahr sehr viele Anträge (112.272) gegeben hat und dass das auch eine sehr hohe „Pro-Kopf-Belastung“ sei im europäischen Vergleich. Von daher könnte man glauben, dass sich 2015 wiederhole.

Längerfristig relevant ist – vor allem auch im Hinblick auf Integration – aber eher die Asylentscheidungsstatistik. Und sie zeigt, dass Österreich nicht mehr so sehr ein Zielland ist, sondern sich eher zu einem Transitland entwickelt hat (siehe Grafik): 2022 gab es (noch) kaum mehr Asylgewährungen als im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Es gab aber bereits mehr als doppelt so viele Ablehnungen (negative Entscheidungen) – und vor allem auch dies: 42.491 Verfahren wurden eingestellt. Das waren viel Mal mehr als im bisherigen Spitzenjahr 2016. Grund für derartige Einstellungen ist in der Regel, dass die Antragsteller Österreich wieder verlassen haben.

Bei gut einem Drittel dieser Fälle betraf dies im vergangenen Jahr afghanische, bei einem Fünftel indische Staatsangehörige. Zumindest afghanische Staatsangehörige sind bisher gekommen, um zu bleiben. Jetzt ziehen sie zum größeren Teil weiter.

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