Einfach machen II

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ANALYSE. Fundamentale Rechte kommen unter Druck. Nicht nur durch Politiker wie Kickl. Oder auch Doskozil.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) will Asylwerber zu gemeinnützigen Tätigkeiten verpflichten und allenfalls Geld streichen. „Das könnte gegen europäisches Recht verstoßen“, teilt ihm die „Krone“ nun in einem Interview mit. Hintergrund: Laut Aufnahmerichtlinie muss eine grundlegende Versorgung gewährt werden. Antwort Doskozil: „Das Leben ist ein Geben und ein Nehmen. Die burgenländische Bevölkerung ist sehr hilfsbereit. Aber man darf sie nicht für dumm verkaufen. Von Menschen, die von uns Unterstützung erwarten, darf man auch eine Gegenleistung verlangen. Deshalb werden wir diesen Schritt gehen. Punkt.“

„Wir würden es einfach machen“, hatte FPÖ-Chef Herbert Kickl in einem TV-Duell vor der Wahl gesagt. Daran erinnert die Botschaft von Doskozil: Auf rechtliche Bedenken geht er nicht einmal ein. Bei Kickl ging es darum, keine Asylanträge mehr anzunehmen. Bei Doskozil mag es „nur“ darum gehen, Flüchtlingen, deren Anträge zugelassen worden sind, Unterstützungen zu streichen. In der Sache ist der Punkt jedoch in beiden Fällen eine Tendenz, die immer mehr um sich greift: Recht hat der Politik zu folgen. Nicht umgekehrt.

Das ist umso bemerkenswerter, als es in der Regel nicht um einfaches, sondern um sozusagen höheres Recht geht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat vor ein paar Wochen zum Beispiel festgestellt, dass Frauen in Afghanistan grundsätzlich so schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen unterworfen sind, dass man nicht mehr im Einzelfall prüfen muss, ob ihnen Asyl zu gewähren ist.

Die Richter schlossen sich der Überzeugung an, dass die Rückkehr der Taliban an die Macht im Jahr 2021 „schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte von Frauen“ hatte. So habe das Regime zahlreiche diskriminierende Maßnahmen eingeführt, die beispielsweise darin bestünden, dass Frauen keine rechtlichen Mittel zur Verfügung gestellt würden, um Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sowie Zwangsverheiratungen erhalten zu können, sie ihren Körper vollständig zu bedecken und ihr Gesicht zu verhüllen hätten, ihnen der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen erschwert werde, ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt werde, sie einer Erwerbstätigkeit nicht oder in eingeschränktem Ausmaß nachgehen dürften, der Zugang zu Bildung eingeschränkt werde und sie vom politischen Leben ausgeschlossen würden.

Für die „Krone“ bzw. ihren Kolumnisten Klaus Woltron ist der EuGH damit entschieden zu weit gegangen. Was heißt zu weit? In der Sonntagsaugabe vom 20. Oktober schreibt er von „Despoten im Talar“ und unterstellt, dass die Richter einen Freibrief zur Asylgewährung für alle muslimischen Frauen ausgestellt hätten; genauer, für „etwa 260 Millionen“, deren Rechte in vielen Ländern missachtet werden würden.

Interessant auch Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss: Sie findet, die EuGH-Entscheidung entspreche der bisherigen Judikatur und sei „konsequent“. Aber: Die Verhältnisse hätten sich „gewaltig verändert“: Eine „gewisse Korrektur“ der Judikatur in Migrationsfragen sei daher „notwendig“: „Man muss schon auch auf die Einstellung in der Bevölkerung eingehen. Sonst wird das Vertrauen in die Rechtsprechung und das Ansehen der Gerichte beschädigt.“

Das mag aufs Erste nicht unvernünftig klingen. Es verkennt jedoch die Rolle des Europäischen Gerichtshofes. Zugespitzt formuliert: Er hat nicht zu entscheiden, was gefällt, sondern was Recht ist. Und dieses Recht können, ja dürfe weder Politiker noch er einfach so auslegen, wie es Stimmungen entspricht. Wenn, dann muss das Recht geändert werden. Sonst wird’s gefährlich.

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