ANALYSE. Christian Kern und Sebastian Kurz wollen sehr viel verändern. Wohin das alles führen soll, sagen oder wissen sie (noch) nicht. Dem einen wird das gerade gefährlich, dem anderen ist es eine Warnung.
Die Auseinandersetzungen, zu denen eine Besprechung im „Team“ von Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern am vergangenen Mittwoch eskalierte, bringen Vordergründig eines zum Ausdruck: Da. Herrscht. Panik. Zu aussichtslos scheint die kommende Nationalratswahl zu werden: Schon die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei den ersten Platz verteidigen kann, ist gering. Daneben aber dürfte es jedenfalls eine schwarz-blaue (oder blau-schwarze) Mehrheit geben und dann hätte man im besten Fall nur eine Wahl zwischen Pest und Cholera; also in Opposition gehen oder mit den Freiheitlichen koalieren, was wiederum parteiinterne Turbulenzen zur Folge hätte (siehe die Klarstellungen des Michael Häupl).
Dass unter diesen Umständen die Nerven so extrem flattern, ist nachvollziehbar. Seltsam ist, dass Kern und seine Leute diese Szenarien ganz offensichtlich nicht mit einkalkuliert hatten: Dass Sebastian Kurz die ÖVP in einen vorgezogenen Urnengang führen würde, hat man zwar nicht wissen, sehr wohl aber annehmen können. Also hätte man diese Möglichkeit in sämtlichen Strategiepapieren berücksichtigen müssen, um für den Fall des Falles eine paar Anleitungen zu haben, die wenigstens ein bisschen Sicherheit geben.
Das Problem geht jedoch noch viel weiter. Und das könnte man als „Josef Pröll Phänomen“ bezeichnen: Der ehemalige ÖVP-Obmann und Vizekanzler hatte zu seinen Amtszeiten erkannt, dass es weder in seiner Partei noch in der ganzen Republik so weitergehen kann. Dass sich vieles ändern muss. Ein paar Vorschläge hat er gemacht. Die Transparenzdatenbank, die dazu zählt, ist bis heute jedoch unbrauchbar geblieben. Zu viele Gebietskörperschaften weigern sich, ihre Geldflüsse offenzulegen. Pröll ist so gesehen am System gescheitert. Und darüber hinaus aber auch am eigenen Unvermögen: Im Wissen, dass die Volkspartei erneuert werden muss, hat er eine Perspektivengruppe geschaffen. Sie sollte sich Gedanken über Notwendiges machen und lieferte auch einen Abschlussbericht mit schier unendlich vielen Empfehlungen. Aus bestimmten Gründen aber war dieser Bericht von allem Anfang an nur dazu verdammt, in irgendwelchen Archiven zu vergilben. Was dem Werk jedenfalls fehlte, war ein Narrativ, eine sinnstiftende und vor allem eingängige Erzählung, die einzelne Vorschläge logisch, ja überzeugend macht.
Auch Sebastian Kurz muss sich ein Narrativ zurechtlegen. Das ist extrem anspruchsvoll. Aber notwendig.
So ist das nun auch mit dem Plan A von Christian Kern, wie Robert Misik im politischen Porträt des Kanzlers und SPÖ-Vorsitzenden ausführt: Der Plan A bringt zum Ausdruck, dass da jemand Handlungsbedarf sieht und auch wirklich Einiges verändern möchte. Das ist gut. Was aber nicht da ist, ist ein Bild bzw. eine kurze Erklärung, die Hinz und Kunz verständlich macht, wo das Ganze eigentlich hinführen soll; und die erst die nötige Begeisterung auslösen könnte, die es für einen politischen Erfolg von Dauer braucht.
Sebastian Kurz kann all das eine Warnung sein: Auch er muss sich ein Narrativ zurechtlegen. Das ist extrem anspruchsvoll. Irgendwann aber ist es nicht mehr ausreichend, nur auf konkrete Maßnahmen, wie die Schließung der Balkanroute, zu verweisen. Die Gesellschaft braucht eine Perspektive. Und die geht weit über eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent hinaus, deren Umsetzung man vor dem Urnengang noch dazu aus gutem Grund schwer erläutern kann. Ohne Leistungskürzungen geht das nämlich nicht, die zwar noch so nötig sein mögen, aber eben immer auch unpopulär sind.
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