Absandeln unter türkiser Führung

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ANALYSE. Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und vieles mehr: Österreich baut ab. Diesmal können ÖVP-Politiker nicht mit dem Finger auf die SPÖ zeigen. Sie tragen Verantwortung – und müssen ihr daher gerade auch im Wahlkampf gerecht werden.

In den vergangenen Jahren sei Österreich gemessen am europäischen Durchschnitt „abgesandelt“, sagte Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP). Es sei „eine Schande“, wie gering die Wachstumsraten seien, erklärte er auf einer Pressekonferenz an der Seite von Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) und machte gemeinsam mit dieser die Schuldige aus: die damalige Kanzlerpartei SPÖ, der ihresgleichen schon immer unterstellt hatten, von Wirtschaft keinen Tau zu haben und nur Schulden zu machen.

Akzeptiert man den Begriff „Absandeln“ und nimmt man das Niveau her, das herrschte, als er von Leitl verwendet wurde, um die Lage im Jahr 2013 zu beschreiben, muss man feststellen, dass es lächerlich war. Im Vergleich dazu ist Österreich heute erst recht abgesandelt.

Erstens: Wie hier beschrieben sind die Wachstumsraten seit 2017, als die vermeintlich großen Kurz-Jahre begannen, um bald in nüchterne Nehammer-Jahre überzugehen, mehr als bescheiden. Niedriger sind sie in kaum einem anderen Mitgliedsland der EU.

Zweitens: Die Inflation ist seit zwei Jahren größer als im europäischen Durchschnitt.

Drittens: Das Budget läuft aus dem Ruder, notwendig werden laut Fiskalrat, aber auch Wirtschaftsforschungsinstitut und vor allem EU-Kommission Sparpakete.

Viertens: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Im Ranking der Lausanner Wirtschaftshochschule IMD ist Österreich auf den 26. Rang zurückgefallen, unter 67 bewerteten Ländern. 2020 war man noch auf Platz 16 gelandet.

Fünftens: Zu allem Überdruss ist Österreich im Korruptionsindex von „Transparency International“ auf bescheidenem Niveau, wollen ausgerechnet türkise Teile der Regierung dennoch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA schwächen.

Kommentar von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, der die Lage (exklusive Punkt fünf) zusammenfasst: „Das Kernproblem der österreichischen Volkswirtschaft liegt darin, dass die multiplen Krisen der letzten Jahre Wohlstandsverluste gebracht haben. Darauf habe ich vielfach hingewiesen. Man hat aber versucht, diese realwirtschaftlichen Einbußen durch expansive Fiskalpolitik und durch Reallohnausgleich zu verstecken. Das kann dauerhaft nicht gelingen. Die Folgen sind: ein zu hohes Budgetdefizit, eine dauerhaft überhöhte Inflation und eine zurückgehende internationale Wettbewerbsfähigkeit.“

Die Nachfolger von Leitl und Fekter, Harald Mahrer und Magnus Brunner, könnten heute nicht mehr die SPÖ dafür verantwortlich machen. Sie ist in Opposition. ÖVP-Parteichef, Kanzler Karl Nehammer mag sich bemühen, durch Leitkultur-Ansätze, Empörung über Babler’scher Vermögenssteuervorschläge oder den Kampf für Verbrennungsmotoren davon abzulenken. Seit Jahrzehnten waren die Macht- und Verantwortungsverhältnisse aber nicht mehr so klar wie sie es seit der letzten Nationalratswahl sind: Die ÖVP führt das Finanz- und das Wirtschaftsministerium, sie hat etwa drei Viertel der Macht und eben auch Verantwortung und kann sich daher schon gar nicht auf die kleinen Grünen ausreden, die aus ihrer Sicht vielleicht bei der Renaturierung lästig sind.

Wichtiger: Im Wahlkampf mag sie wieder nur von Entlastungen reden. Nehammer hat mit seinem sogenannten „Österreich-Plan“ bereits einen Vorgeschmack geliefert. Es mag auch inseratenabhängige Zeitungen geben, die derlei einfach weiterverbreiten. Die Partei gehört jedoch in die Pflicht genommen: Die erwähnten Punkte eins bis fünf zeugen vor allem auch von einem umfassenden Versagen ihrerseits. Wo ist das Eingeständnis? Nein, sie muss sich nicht entschuldigen. Das Mindeste ist, dass sie ernsthaft aufzeigt, wie sie Probleme, die sie mitverschuldet, zu lösen gedenkt.

Das wird schwer genug. Felbermayr ist wie Fiskalratschef Christoph Badelt der Überzeugung, dass die budgetäre Lage bereits so übel ist, dass Sparmaßnahmen nicht ausreichen werden. Felbermayr empfiehlt etwa, die Mineralölsteuer zu erhöhen. Das wird Nehammer vor der Wahl nicht aussprechen. Also wird er Alternativen aufzeigen müssen, um sich trotz allem für eine weitere Regierungsbeteiligung empfehlen zu können. Anders ausgedrückt: Das wird eine der entscheidenden Fragen sein. Zumindest hier auf diesem Blog.

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