ZAHLEN ZUM TAG. Bei Sonntagsfragen gibt es nach wie vor unerträgliche Qualitätsdefizite. Das bleibt auch eine demokratische Zumutung.
Laut hochgeschätzten Umfragewerten, die die Tageszeitung „Der Standard“ Ende Jänner veröffentlicht hat, würde es bei einer steirischen Landtagswahl heute (und nicht erst im Herbst) zu massiven Veränderungen kommen. Die ÖVP würde von Platz eins auf Platz drei bzw. 20 Prozent abstürzen. Die FPÖ würde mit 26 Prozent vor der SPÖ (24 Prozent) landen. Befragt worden waren 781 repräsentativ ausgewählte Wahlberechtigte in dem Bundesland; und zwar von 19. bis 24. Jänner.
ÖVP-Chef, Landeshauptmann Christopher Drexler gibt sich – als Gast in der „ZIB 2“ darauf angesprochen – betont gelassen: „Schauen Sie, diese Umfrage habe ich natürlich auch gesehen, aber es ist schon bemerkenswert, dass dasselbe Umfrageinstitut beispielsweise etliche Monate vor der Salzburger Landtagswahl Wilfried Haslauer und die ÖVP an dritter Stelle gesehen hat.“ Geblieben seien sie schließlich erste. Ähnlich sei es seinem „lieben Freund Anton Mattle“ und der Volkspartei in Tirol gegangen, wo ein halbes Jahr davor gewählt worden war. Ihnen seien extrem niedrige Werte ausgewiesen worden.
Der Hinweis enthält nur eine kleine Unschärfe: Die aktuelle Umfrage stammt vom „market“-Institut, in Salzburg war die „Lazarsfeld Gesellschaft“ am Werk: Sie hatte SPÖ und FPÖ im August 2022 bei je 24 Prozent und die ÖVP bei nur 22. Die beiden haben personell freilich miteinander zu tun: Werner Beutelmeyer von „market“ ist Präsident der nach dem großen Sozialforscher Paul Lazarsfeld benannten Gesellschaft.
Immerhin: Knapp zwei Wochen vor der Salzburg-Wahl im April 2023 sah die Gesellschaft die ÖVP bei 31 Prozent. Erreicht hat die Partei schließlich 30,4 Prozent.
Die „Lazarsfeld“-Hochschätzungen vor der Tiroler Landtagswahl hatten die dortige ÖVP bei 25, 26 und 27 Prozent gesehen. Geworden sind es dann 34,7 Prozent. „Übertroffen“ wurde das allerdings durch Werte, die das IMAD-Institut keine vier Wochen vor der Wahl im Herbst 2022 präsentierte; nämlich ebensolchen auf das Zehntelprozent „genau“. Im Falle der ÖVP handelte es sich um 25,3.
Soweit zu Vergangenem. Problem: Auch auf Bundesebene muss man zweifelnd insofern bleiben, als Ergebnisse von „Sonntagsfragen“ nicht einmal plausibel dargelegt werden. Dass etwa Rohdaten veröffentlicht werden, ist äußerst selten. (Eine Ausnahme bildet hier das Institut „Unique Research“.) Derlei wäre als Regel umso wichtiger, als sich viele Menschen lange vor einem Urnengang noch nicht festgelegt haben – und als in Wirklichkeit oft nur ein vages Stimmungsbild zum Ausdruck gebracht wird.
Dieses Problem führt zu größeren Problemen, ja einer demokratischen Zumutung: Wahlberechtigten wird mitgeteilt, wie sie angeblich ticken. Und Parteien werden zu Getriebenen von Werten, bei denen man nicht ausschließen kann, dass sie – in aller Deutlichkeit formuliert – schwindlig sind. Es entstehen frühzeitig vermeintliche Sieger und Verlierer sowie vermeintlich mögliche, aber auch unmögliche Koalitionsvarianten.